2. KAPITEL
Es war der reinste Wahnsinn.
Was in aller Welt hat mich dazu bewogen, wieder an einen so gefährlichen Ort zurückzugehen? Schon vor dem USAR-Kurs hatte sich Joe die wichtigsten Sicherheitsregeln durch seine Arbeit als Rettungssanitäter längst tief eingeprägt. Die persönliche Sicherheit stand immer an erster Stelle. Wie konnte man denn sonst irgendjemandem nützen, wenn man selbst verletzt oder gar getötet wurde? Aber zur Umkehr war es bereits in dem Augenblick zu spät gewesen, als er seinen impulsiven Entschluss gefasst hatte.
Als er in das Loch im Boden geschaut hatte, war sich Joe des unmittelbar bevorstehenden Einsturzes um ihn herum bewusst gewesen. An dem Stahlträger herunterzurutschen und dann in die Tiefgarage hineinzuspringen war seine einzige Möglichkeit gewesen. Und nun rannte er um sein Leben durch fallende Betontrümmer, von denen einige groß genug waren, dass sie seinen Schutzhelm ohne weiteres hätten zerschmettern können.
Etwas Großes, Schweres krachte lärmend auf das Dach eines Wagens neben ihm. Joe hechtete nach links, rollte sich über die Kühlerhaube eines anderen Fahrzeugs und landete im Hocksitz zwischen einem Lieferwagen und einem Geländewagen mit Dachgepäckträger. Die Höhe des Lieferwagens war Joes Rettung. Sonst wäre er von dem Ende einer Längsstrebe aus Stahl getroffen worden, die gerade von der Decke fiel. Der Lieferwagen war zerstört, und falls Joe sich nicht flach auf den Boden geworfen hätte, wäre er von der Stahlstrebe erwischt worden. Joe merkte, dass sein Stiefel eingeklemmt war. Er drehte sich seitwärts und hielt schützend die Arme über den Kopf, während er versuchte, den Stiefel zu befreien. Das, was da oben vor sich ging, war noch nicht zu Ende. Joe hörte das grauenvolle Getöse einer Lawine der Zerstörung, das immer lauter wurde.
Das wars also. Das ist das Ende meines Lebens, schoss es ihm durch den Kopf. Wieso habe ich mir bloß einen derartig gefährlichen Beruf ausgesucht? Mit fünfunddreißig ist man doch noch viel zu jung zum Sterben. Doch statt dass sein Leben blitzschnell an seinem inneren Auge vorbeizog, tauchte lediglich Jessica McPhail vor ihm auf. Und Joe erinnerte sich wieder daran, weshalb er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Niemand hatte ihn jemals so geliebt. Seine Mutter hätte niemals seinetwegen irgendetwas riskiert. Joe konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es sein könnte, so geliebt zu werden. Und das würde er auch nie erfahren. Frauen blieben nicht lange bei ihm, sobald sie erfuhren, dass er weder an einer Ehe noch an Kindern interessiert war.
Der Lärm hatte aufgehört. Die dichte Staubwolke verhinderte jegliche Sicht, doch die Stille dauerte an. Keine unheimlichen Ächzgeräusche mehr, die vermuten ließen, dass das gesamte Gebäude auf die Tiefgarage herabstürzen würde. Offensichtlich hatte es sich um einen sekundären Einsturz eines kleinen Teils des Einkaufszentrums gehandelt, der nun vorüber zu sein schien. Und Joe war noch am Leben – eingeklemmt, aber am Leben.
Er konnte seinen Fuß in dem schweren Stiefel bewegen. Wenn ich den Reißverschluss aufkriege, kann ich meinen Fuß vielleicht befreien, dachte er bei sich. Mit seinen ein Meter neunzig und der kräftigen Statur eignete sich Joe allerdings nicht für akrobatische Verrenkungen dieser Art. Schwer atmend gelang es ihm dennoch schließlich, den Reißverschluss zu erreichen. Er zog ihn hinunter und öffnete den dicken Lederstiefel, so weit es irgend ging. Die Stahlkappe war zerquetscht, aber aus irgendeinem wundersamen Grund hatten seine Zehen nichts abbekommen. Doch selbst bei geöffnetem Reißverschluss war es keine leichte Aufgabe, den Fuß zu befreien. Als Joe es endlich schaffte, ihn herauszuziehen, fehlte ihm zwar auch seine Socke, aber es war ein tolles Gefühl, die Zehen zu bewegen. Er war frei.
Joe schob sich rückwärts, bis er genügend Raum hatte, sich auf die Knie zu setzen. Um ihn herum war es pechschwarz, der Staub war erstickend, und die einzigen Geräusche, die man hörte, waren gedämpft und zu weit entfernt, als dass sie eine Bedrohung darstellten. Joe hielt inne und dachte nach. Er hatte den Einsturz überlebt, war jedoch von jeder Hilfe abgeschnitten. Hoffnungsvoll tastete er nach dem Funkgerät, doch es hing nicht mehr an seinem Gürtel.
Und auch wenn er es noch gehabt hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen zu sagen, wo er sich befand. Die Tiefgarage nahm fast das gesamte Untergeschoss des Einkaufszentrums ein. Er wusste, dass einer der Fußgängertunnel verschüttet war, denn dort hatte man Jessicas Mutter tot geborgen. Da fiel Joe auch wieder der Grund dafür ein, dass er sich dieser gefährlichen Situation ausgesetzt hatte. Er zog sich an der Stoßstange des Geländewagens empor, bis er stand.
„Ricky!“ Seine Stimme klang seltsam, ein isolierter Laut in einer