1. KAPITEL
Angie Dellazola biss die Zähne zusammen und unterdrückte einen Schmerzensschrei. Ihre Schwester Glory zerquetschte ihr fast die Hand. „Entspann dich, Glory“, redete Angie sanft auf sie ein. „Entspann dich …“
Glory ließ sich nicht besänftigen. Sie tat nicht nur Angies Hand Gewalt an, sie schrie auch noch. Und fluchte. Benutzte richtig schlimme Worte, Worte, die ein nettes katholisches Mädchen eigentlich nicht einmal kennen sollte. Worte, bei denen Aunt Stella, die in der Tür zum Flur stand, nach Luft japste, den Blick gen Himmel richtete und hektisch an ihrem Rosenkranz herumfingerte.
Es war Angies erster Arbeitstag in der New Bethlehem Flat Clinic – und auch der Tag, an dem sich Glorys Baby entschlossen hatte, auf die Welt zu kommen.
Die Fruchtblase war vor fünfundvierzig Minuten geplatzt, der Muttermund war bereits weit offen, die Wehen kamen schnell und heftig, die Geburt stand kurz bevor. Dr. Brett Bravo, Angies Freund aus Kindertagen und jetziger Chef, war gekommen und hatte angeordnet, Glory in diesem Stadium der Geburt nicht mehr über die kurvenreiche Bergstraße in das fünfzig Meilen entfernt liegende Krankenhaus zu bringen. Er würde das Baby zu Hause entbinden. Jetzt lag Glory in einem der Schlafzimmer im Obergeschoss des Hauses der Dellazolas.
„Du machst das sehr gut, Honey“, redete Angie auf ihre Schwester ein, als Glory zwischen zwei Wehen kurz Luft holte. „Versuch, noch nicht zu pressen. Einfach atmen, so wie du es bei der Geburtsvorbereitung gelernt hast – leichte, hechelnde Atemzüge und …“
„Angela Marie“, unterbrach Glory laut stöhnend. „Sag mir nicht, dass ich atmen soll. Ichkann nicht atmen. Es tut so verdammt weh …“ In dem Moment drückte sie Angies Hand noch fester zusammen und stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Rose – Angies und Glorys Mutter –, die an der anderen Seite des Bettes stand, tadelte: „Also, Glory, Honey … Angie hat recht. Du musst mitmachen. Verkrampf dich nicht.“
Glory knurrte. „Du hast wohl nicht gehört, was ich gesagt habe. Es tut weh. Richtig, richtig weh …“
„Ich weiß, dass es schmerzhaft ist“, sagte ihre Mutter. „Ich kann mitreden.“ Rose übertrieb nicht. Sie hatte neun Kinder geboren – sieben Mädchen und zwei Jungen. „Deshalb will ich, dass du zuhörst, ich will, dass du …“
„Zuhören?“ Glory blies sich die schweißnassen Haare aus den Augen. „Du willst, dass ichzuhöre …“
„Honey, du darfst nicht dagegen ankämpfen.“
„Oh, Gott …“ Glory schüttelte wild den Kopf. „Oh Gott, da kommt schon wieder eine …“
Von der Tür aus zwitscherte Trista, das älteste der Dellazola-Mädchen, fröhlich: „Wie wäre es mit ein paar Eiswürfeln?“ Trista hatte ihre drei Töchter bei der zweitgeborenen Schwester, Clarice, gelassen, und eilte zu Hilfe. „Hallo?“, trällerte Tris wieder, als niemand ihre Frage beantwortete. „Eiswürfel?“ Wieder keine Antwort – abgesehen von einem lauten Schrei aus Glorys Mund. Trista zuckte zusammen. „Eiswürfel. Definitiv. Dani hat welche fertig.“ Danielle, die sich unten in der Küche aufhielt, war die vierte der Schwestern, Angie die dritte. „Ich brauche nur die Schüssel“, verkündete Tris, als ob es irgendjemanden interessierte. Sie griff sich die leere Plastikschüssel vom Nachttisch. „Bin gleich zurück …“ Dabei wirbelte sie herum und sprang die Treppe hinunter.
Es folgten erneut Schmerzensschreie. Angies Hand wurde weiter malträtiert. Mamma Rose wischte ihrer gebärenden Tochter mit einem kühlen Tuch über die