1. KAPITEL
Aden Stone blickte auf das Mädchen hinab, das auf einem steinernen Podest schlief. Langes Haar, schwarz wie eine Winternacht und doch glänzend wie Schnee im Mondlicht, umspielte ihre schmalen Schultern. Lange dunkle Wimpern warfen Schatten auf die hohen, scharf geschnittenen Wangenknochen. Ihre üppigen rosa Lippen schimmerten feucht.
Er hatte beobachtet, dass sie sich die Lippen geleckt hatte, und wusste, was in ihr vorging. Selbst im Schlaf roch sie etwas Köstliches und sehnte sich nach dem Geschmack.
Geschmack … ja …
Ihre schneeweiße Haut war an genau den richtigen Stellen von einer frischen Röte überzogen und absolut makellos. Ohne jede Falte oder Runzel – obwohl sie schon über achtzig Jahre alt war.
Für ein Geschöpf ihrer Art war das jung.
Ein zerrissenes Kleid bedeckte sie von den Achseln bis zu den Zehenspitzen. Oder besser: hätte sie bedeckt, wäre es nicht zum Teil hochgezogen gewesen. Ein schlankes Bein ragte angewinkelt darunter hervor. Ein Fest für die Augen, vielleicht sogar eine Einladung, aus der Vene an ihrem Oberschenkel zu trinken.
Er sollte widerstehen.
Er konnte es nicht.
Sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte, zerbrechlich und anmutig. Wie die unschätzbaren Kunstwerke in dem einzigen Museum, das er je besucht hatte. Der Kurator hatte ihm einen Klaps auf die Hand verpasst, als er verbotenerweise versucht hatte, etwas zu berühren.
Sie hingegen muss niemand bewachen, dachte er mit einem leisen Lächeln. Sie konnte sich selbst beschützen, mit einer einzigen Handbewegung hätte sie einem Mann das Genick brechen können.
Sie war eine Vampirin.Seine Vampirin. Sein Fluch und sein Segen.
Aden stemmte ein Knie auf das provisorische Bett. Durch die Bewegung spannte sich das T-Shirt, auf dem das Mädchen ein klein wenig bequemer liegen sollte, und sie rollte in seine Richtung. Ohne ein Stöhnen oder einen leisen Seufzer, den ein Mensch vielleicht ausgestoßen hätte. Sie war still, unheimlich still. Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert: gelassen, unschuldig … vertrauensvoll.
Lass es sein.
Er würde es tun.
Aden trug eine zerrissene Jeans voller Blutflecken. Die gleiche Jeans hatte er bei ihrer ersten Verabredung getragen, dem Abend, an dem sich seine ganze Welt verändert hatte. Sie trug nichts außer dem Kleid. Manchmal hielt nur die Kleidung die beiden davon ab, mehr zu tun, als voneinander zu trinken.
Voneinander zu trinken. Den anderen zu nähren. Was für harmlose Wörter dafür. Er hätte ihr nie absichtlich wehgetan, aber wenn ihn – oder sie – der Wahn überkam, war alle Zuneigung vergessen. Sie wurden zu Tieren.
Lass es sein, wiederholte das biss