1. KAPITEL
Dr. June Hudson erwachte, weil das Telefon klingelte. Es war stockdunkel draußen, und als sie sich auf die Seite drehte und auf den Wecker sah, war es Viertel nach sechs. Sie hatte wohl verschlafen. „June Hudson“, meldete sie sich.
„Wer war dieser Mann?“, fragte ihre vierundachtzigjährige Tante Myrna.
June schaute neben sich. Da lag er. Jim. Der gerade ausgiebig gähnte und sich den Oberkörper rieb. Es war also kein Traum gewesen. Er war hier, bei ihr, leibhaftig, nachdem er so lange fort gewesen war.
Tante Myrna war nicht die Einzige, die keinen Schimmer von Junes geheimem Freund gehabt hatte. Bis auf wenige Eingeweihte hatte niemand in der Stadt etwas geahnt. June bereitete sich auf einen Erklärungsmarathon vor.
„Sein Name ist Jim, und ich stelle ihn dir vor, sobald sich die Gelegenheit bietet, Tante Myrna. Vielleicht schon heute Vormittag. Du wirst ihn mögen.“
„Wo kommt er her? Was macht er?“
Das weiß ich auch nicht so genau, dachte June. „Später, meine Liebe. Zu viele Details. Und jetzt muss ich erst mal aufstehen und zur Arbeit fahren. Bis dann.“
Sie legte das Telefon zurück auf den Nachttisch, blickte zu Jim hinüber, schüttelte den Kopf und seufzte lächelnd. Erneut schrillte das Telefon. „Ich habe keinen Notdienst“, erklärte sie. „Soll der Anrufbeantworter drangehen.“
Amüsiert zog Jim eine Augenbraue hoch. „Zu viele Details?“, zitierte er sie.
„Ja, und vermutlich müssen wir sie alle erfinden.“ June sprang aus dem Bett. Sie war nackt. „Ich dusche jetzt. Würdest du bitte den Anrufbeantworter abhören? Falls ein Kollege einen medizinischen Rat benötigt, bring mir das Telefon rüber. In Ordnung?“
Aus der Küche ertönte die Stimme von Junes Vater. Instinktiv griff June nach dem Bettlaken und schlang es um sich. Elmer Hudson war einer der wenigen, den sie von Jim erzählt hatte, allerdings auch nicht alles. „Damit hast du wohl in ein Wespennest gestochen“, sagte Elmer und lachte keuchend. „Ich glaube, ich trinke heute Morgen meinen Kaffee bei George im Café. Mal gucken, was ich da zu hören bekomme.“
„Er ist schon ein Original“, bemerkte Jim.
„Ein Lacher pro Minute.“ June schnitt eine Grimasse. „Vielleicht fällt dir ja eine gute Geschichte ein, während ich unter der Dusche bin.“
Sie wartete, bis das Wasser warm geworden war, und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Taille verschwand bereits langsam.
Noch vor einem Jahr war sie Single gewesen und weit und breit kein Mann in Sicht. Vor sechs Monaten hatte sie Jim kennengelernt und dennoch weiterhin geglaubt, sie würde kinderlos bleiben. Doch dann war es mit Jim ernst geworden, und während einer emotionalen Verabschiedung hatten sie sich ihre Liebe geschworen. Und vor zwei Wochen war ihr Bauch noch ziemlich flach gewesen, aber ab dem Moment, als sie erfuhr, dass sie sch