1. KAPITEL
Elphame befand sich genau dort, wo Brighid sie zu finden erwartet hatte – nicht, dass es der Fähigkeit einer zentaurischen Jägerin bedurft hätte, um den Spuren der Clanführerin zu folgen. Die Angewohnheit der MacCallan, diese spezielle Felsformation an der Klippe aufzusuchen, war allgemein bekannt. Auf dem erhöhten Aussichtspunkt aus großen, wettergegerbten Steinen konnte Elphame sitzen und nach Norden in Richtung der Berge Trier schauen, die in der Entfernung als zerrissene Zackenlinie in den Himmel stachen. Aus dem Wunsch heraus, in das dahinterliegende Ödland zu sehen, starrte sie oft stundenlang auf die weit entfernte Bergkette.
Brighid näherte sich Elphame leise, sie störte sie nur ungern. Obwohl sie schon einige Mondzyklen in ihrer Nähe lebte und eng mit ihr zusammenarbeitete, berührte der Anblick dieses einzigartigen Wesens, das ihre Clanführerin und auch ihre Freundin geworden war, sie immer noch tief. Als älteste Tochter der inkarnierten Göttin Partholons und ihres zentaurischen Schamanen war Elphames Körper nur bis zur Taille menschlich; ihre Beine hingegen glichen denen eines Pferdes. Sie waren sehr muskulös, mit feinem, glänzendem Fell bedeckt und endeten in ebenholzschwarzen Hufen.
Es war aber nicht nur diese Andersartigkeit, die Elphame von allen anderen unterschied. Sie trug Kräfte in sich, die ihr von Epona verliehen worden waren. Wegen einer Verbundenheit mit der Magie der Erde konnte sie mit der Natur kommunizieren. Elphame hörte die Geister der Steine der MacCallan-Burg. Sie hatte außerdem eine besondere Beziehung zu Epona. Brighid spürte oft die schützende Anwesenheit der Göttin Partholons, wenn Elphame das Morgengebet sprach oder Epona am Ende eines produktiven Tages dankte. Und natürlich hatten alle gesehen, wie sehr sie Epona am Herzen lag, als Elphame die Stärke und Liebe ihrer Göttin anrief, um den Wahnsinn der Fomorianer zu bezwingen.
Die Jägerin erschauerte. Sie wollte sich nicht an diesen entsetzlichen Tag erinnern. Es reichte zu wissen, dass ihre Clanführerin eine mysteriöse Mischung aus Zentaur und Mensch, Göttin und Sterblicher war.
„War die morgendliche Jagd erfolgreich?“, fragte Elphame, ohne sich zu ihr umzudrehen.
„Ja, sehr.“ Brighid war nicht überrascht, dass ihre Stammesführerin ihre Anwesenheit spürte. Elphames übernatürliche Kräfte waren scharf und präzise. „Die Wälder, die die Burg MacCallan umgeben, sind seit über einhundert Jahren nicht mehr ordentlich bejagt worden. Das Wild springt mir förmlich vor meine Pfeile und bettelt darum, erlegt zu werden.“
Um Elphames Lippen zuckte ein kleines Lächeln. „Wildbret mit Todessehnsucht? Das klingt nach einem wahrhaft einzigartigen Mahl.“
Brighid schnaubte. „Erzähl es nur nicht Wynne. Die Köchin wird sonst verlangen, dass ich bei der Auswahl des Wilds sorgfältiger auf dessen Laune achte, damit ihr Eintopf den richtigen Geschmack bekommt.“
Die MacCallan löste den Blick von den Bergen in der Ferne und lächelte. „Bei mir ist dein Geheimnis sicher.“
Als Brighid ihrer Freundin in die Augen schaute, erschrak sie über die Traurigkeit, die sich darin abzeichnete. Nur Elphames Lippen lächelten. Niemals würde die MacCallan diesen gequälten Gesichtsausdruck der Öffentlichkeit zeigen – es war ein seltenes Privileg, eine so persönliche Seite zu sehen zu bekommen. Brighid befürchtete im ersten Moment, dass der fomorianische Wahnsinn, der tief im Blut