2. KAPITEL
Sollen wir anfangen?
Dies ist deine erste Aufgabe.
Du wirst dich ganz genau an die Anweisungen halten. Fehler werden nicht akzeptiert. Die Strafe für Dein Versagen ist das Ende unseres Spiels.
Dein Lohn werden meine Aufmerksamkeit und meine Anordnungen sein.
Du wirst eine Liste mit zehn Punkten schreiben. Fünf Schwächen. Fünf Stärken.
Schicke sie unverzüglich an die unten angegebene Adresse.
Der quadratische Umschlag in meiner Hand hatte die sanften, kaum wahrnehmbaren Rillen von wirklich teurem Papier. Die Klappe war nicht gummiert. Der Rückumschlag, der der Nachricht beilag, war von derselben Qualität. Ich betrachtete die schwere cremefarbene Karte, die ich aus dem Umschlag gezogen hatte, immer wieder von vorne und von hinten. Das Material fühlte sich wie hochwertiges Leinen an. Ebenfalls sehr kostspielig. Ich strich an der leicht rauen Kante entlang. Möglicherweise war das Stück, welches ich in der Hand hielt, aus einem größeren Bogen herausgeschnitten worden. Es war nicht schwer genug, um als Briefkarte durchzugehen, jedoch zu dick für einen Tintenstrahldrucker.
Ich hob den Umschlag an die Nase und schnupperte daran. Ein leichter Moschusduft ging von dem Papier aus, das glatt, aber auch porös war. Ich konnte den Geruch nicht identifizieren, aber zusammen mit dem Aroma von teurer Tinte und frischem Papier erregte er ein leichtes Schwindelgefühl in mir.
Mit den Fingerspitzen strich ich über die schwarzen geschwungenen Buchstaben. Die Schrift war mir unbekannt, und der Brief war nicht unterschrieben. Jedes Wort präzise aufs Papier gebracht, jeder Buchstabe sorgfältig geformt, ohne die nachlässigen Schwünge, Häkchen und Windungen, die die Handschrift der meisten Menschen zeigt. Das hier sah geübt aus und effizient. Anonym.
Der Rückumschlag war an ein Postfach in einer der örtlichen Postfilialen adressiert, ohne weitere Zusätze. Seit ich vor fünf Monaten ins Riverview Manor gezogen war, hatte ich einige Werberundschreiben erhalten, außerdem Spendenaufrufe, die an zwei der vorherigen Bewohner meines Apartments gerichtet waren, dazu viel zu viele Rechnungen. Ich hatte keinen einzigen privaten Brief bekommen.
Wieder drehte ich die Karte um und lauschte dem leisen Wispern, mit dem meine Finger über das Papier strichen. Auf der Vorderseite stand weder eine Anschrift noch ein Name. Nur eine Zahl, die ebenso unpersönlich und sorgfältig geschrieben war wie die Nachricht. Ich schaute genauer hin und entdeckte, was ich vorher in der Eile nicht bemerkt hatte.
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Das erklärte alles. Dieser Brief war nicht für mich bestimmt. Die Tinte war ein wenig verwischt, sodass die Eins auf den ersten Blick als Vier durchging. Jemand hatte den Umschlag versehentlich in meinen Briefkasten mit der Nummer 414 gesteckt.
Wenigstens war es keine Einladung zu einer Geschenkparty für eine werdende Mutter oder zur Hochzeit von „Freunden“, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, nur deswegen auf eine Gästeliste gesetzt zu werden, um die Geschenkausbeute größer zu machen. Vor allem nicht, wenn ich das Brautpaar kaum kannte und nur vor undenklichen Zeiten mit einem der beiden in einem Mathekurs gesessen hatte.
„Was ist das?“ Kira trat in einer Wolke aus Zigarettendunst hinter mich und bohrte ihr Kinn in meine Schulter.
Ich weiß nicht, warum ich ihr die Nachricht nicht zeigen wollte. Ich schob die Karte zurück in den Umschlag, suchte nach dem richtigen Briefkasten und steckte sie durch den Schlitz. Durch das Glasfenster konnte ich sehen, wie sie in dem Metallkasten ruhte, schmal, einsam und allein.
„Nichts“, antwo