2. KAPITEL
Eigentlich würde man davon ausgehen, es müsste der siebte Himmel sein, im Penthouse der Acosta-Familie zu leben mit seiner großzügigen Raumaufteilung, den vielen High-Tech-Geräten und den schicken Designer-Möbeln, aber in Wahrheit bedeutet es, die Küche kaum zu benutzen aus lauter Angst, man könne etwas zerkratzen, verbrennen oder zerbrechen. Von den Badezimmern will ich gar nicht reden. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich es satt, mich auf Zehenspitzen durch die Wohnung zu bewegen. Und dann ist da ja noch der Job! Normalerweise sollte es ein Traum sein, für das angesagteste Magazin der Stadt zu arbeiten, oder? Falsch. Es könnte gar nicht schlechter laufen – von meinem Liebesleben mal abgesehen. Das geht nämlich immer noch gen Null, obwohl ich einige lustvolle Gedanken an diesen Kerl namens Ruiz verschwendet habe, der wie ein Sexgott aussieht und mich für ein „süßes Mädchen“ hält.
Himmel, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und habe Brüste!
Außerdem war ich immer der Typ, für den das Glas halb voll war, und wenn ich an die Ausbuchtung in Ruiz’ Jeans denke, dann weiß ich, dass er das Glas wunderbar füllen könnte.
Nicht, dass sie auf der Suche nach einem Partner gewesen wäre, aber ihre Leser brauchten ja nicht zu wissen, dass Holly ein gebranntes Kind war. Sie sollte den Kummerkasten aufheitern und nicht über die Fehler sinnieren, die sie gemacht hatte, denn bei ROCK! lief so ziemlich alles schief, was schieflaufen konnte. Der angeblich ach so perfekte Job stand nämlich bereits auf der Kippe. Sie starrte auf den Bildschirm und las noch einmal das letzte Memo, das sie gerade per E-Mail bekommen hatte. Es sah so aus, als würde sie gefeuert werden, noch ehe sie überhaupt beweisen konnte, was in ihr steckte.
Die letzten Zahlen sind ernüchternd. Der Kummerkasten hat keine Zukunft mehr, wenn sich die Leserzahlen nicht deutlich steigern. Wir brauchen eine Tagebuchreihe als Aufmacher – etwas richtig Saftiges. Also los, Team! Und denkt daran: Der Letzte, der gekommen ist, geht als Erster. Das bist du, Holly.
Holly zwang sich, das Kinn vorzurecken und der Kollegin, die die Mail verschickt hatte, ein Ich-verspreche-mir-etwas-einfallen-zu-lassen-Lächeln zu schenken. Aber was sollte Holly tun, um die Situation zu verbessern – die Leser würden sich kaum für die Socken interessieren, die auf wundersame Weise in der Waschmaschine verschwanden oder ihre Bemühungen, einen weißen BH unter all der grauen Wäsche zu finden.
Als sie Feierabend machte, setzte sie den gleichen besorgten Gesichtsausdruck auf wie die Kollegin und rief ihr beim Hinausgehen zu: „Ich denke darüber nach!“ Immerhin machte sich Holly tatsächlich ernsthafte Gedanken um ihren Job.
Die Kollegin schaffte es, eine noch besorgtere Miene aufzusetzen. „Ich will dich nicht verlieren, Holly, aber …“
Die Frau hatte recht. Der Kummerkasten war tot, wenn nicht bald jemand eine zündende Idee hatte.
Das Problem in diesem Ressort war, dass den Leuten mittlerweile alles egal war – wenn die eine Beziehung scheiterte, gingen sie eben die nächste ein. Es war einfach uncool, zuzugeben, dass man Rat und Hilfe brauchte. Sie musste sich irgendetwas ganz Neues einfallen lassen, entschied Holly, als sie die Tür zum Penthouse aufschloss – oder das Acosta-Paradies, wie sie es insgeheim nannte. Sie würde bei ROCK! bleiben und einen erfolgreichen Job machen, verdammt noch mal!
In der Eingangshalle zog sie ihre Schuhe aus, um den auf Hochglanz gebohnerten Boden bloß nicht zu beschmutzen.