1. KAPITEL
Dieser Job war ein Kinderspiel.
Billy Lucas lag barfuss und mit nacktem Oberkörper auf dem Bett und schleckte genüsslich einen Lolli.
“Wenn Sie irgendetwas brauchen, dann sagen Sie es einfach”, hatte Harris Roper ihm erklärt. Und Billy wäre nicht er selbst gewesen, wenn er von diesem Angebot nicht ausgiebig Gebrauch gemacht hätte.
Er hatte sich einige weiche Kissen bringen lassen, und jedes Mal, wenn er Hunger hatte, kam ein nettes mexikanisches Hausmädchen herbeigeeilt, um ihm sein Essen zu servieren. Sie sprach kein Wort Englisch, aber sie hatte schöne dunkle Augen und kicherte verlegen, wenn Billy ihr zuzwinkerte.
Er hatte es immer schon verstanden, die Frauen um den Finger zu wickeln. Allerdings respektierte er sie viel zu sehr, als dass er seine Chancen je ausgenutzt hätte. Auch für eine ernsthaftere Beziehung hatte es nie gereicht. Billy flirtete zwar ausgesprochen gern, aber er hatte wenig Vertrauen in seine eigene Fähigkeit, eine dauerhafte Verpflichtung einzugehen. Außerdem war das Leben war viel zu spannend und aufregend, um ein bürgerliches Dasein mit Frau und Kindern in einem Reihenhaus zu fristen. Allein der Gedanke ließ ihn erschauern.
Sein Apartment auf Harris Ropers Anwesen war vermutlich früher eine Dienstbotenwohnung gewesen. In der Gegend, aus der Billy stammte, gab es so etwas nicht. Dort war man eher an vergitterte Fenster, Mauern mit Glassplittern und Müllberge in engen Seitengassen gewöhnt. Das Leben in Oakland, Kalifornien, war nicht leicht gewesen. Immerhin aber hatte er dort in seinen dreiunddreißig Lebensjahren kein einziges Mal die lähmende Langeweile gespürt, die er hier auf den Gesichtern der verwöhnten jungen Leute der reichen Gesellschaft von Palm Beach wahrnahm.
Billy beobachtete seit nunmehr fast drei Wochen Julie Ropers. An der Wand über seinem Bett waren fünf Monitore installiert. Überwachungskameras übertrugen aus den verschiedensten Perspektiven Bilder vom Anwesen. Von seinem bequemen Beobachtungsposten im Bett aus hatte er stets die riesige, prachtvolle Villa, den Gehweg durch den Park zum Gästehaus, die Westfront des Gästehauses und die Garagen im Blick. Die letzte Kamera zeigte Julie Ropers Eingangstür in Nahaufnahme.
Das Mädchen hatte zweifellos Klasse und gefiel ihm. Ihr schulterlanges dunkelblondes Haar war mit platinfarbenen Strähnen durchzogen. Sie hatte den stolzen, aufrechten Gang einer Prinzessin. Billy hatte zwar noch nie eine echte Prinzessin gesehen, aber er war sicher, dass Prinzessinnen einen solchen Gang besaßen. Julie war elegant, aber dezent gekleidet. Offensichtlich konnte sie sich das Beste leisten, verzichtete aber auf großen Aufwand. Ihre zierliche, schmale Statur ließ sie zerbrechlich wirken. Doch Billy hatte manchmal den Eindruck, dass diese augenscheinliche Zerbrechlichkeit trügerisch war.
Aus irgendeinem Grund hatte sie beschlossen, vom palastähnlichen Haupthaus des Anwesens allein in das kleine Gästehaus zu ziehen. Das war auch der Grund gewesen, warum sich Harris Roper um seine jüngere Schwester solche Sorgen machte. Er hatte die Kameras installieren lassen und Billy als Leibwächter engagiert, damit er Julie im Auge behielt. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie allein ausging, folgte Billy ihr wie ein unsichtbarer Schatten.
Einmal, an einem späten Abend, war er ihr hinunter zum Strand gefolgt und hatte vom Steg aus heimlich zugesehen, wie sie barfuß durch die Brandung gehüpft war. Sie war in der Dunkelheit herumgetollt wie ein Kind, das nach langen Schulstunden in einem engen Klassenraum seiner Energie endlich freien Lauf lässt.
Schon damals hatte er erkannt, dass Julie anders war, als er zunächst vermutet hatte. Obwohl er eine gute Menschenkenntnis besaß, fiel es ihm schwer, sich ein Bild von ihrer Persönlichkeit zu machen. Aber gerade dadurch wurde sein Job interessant. Julie Ropers Wesen war schwer zu durchschauen, und ihr Handeln hatte Billy schon oft überrascht. Eine Millionenerbin, die barfuß durch die Brandung sprang? Eine Frau, die lieber in einem kleinen Gartenhaus als in einem Palast wohnte? Eine Frau, die unglaublich hübsch war, die aber keine Männerbekanntschaften hatte?
Gelege