1. KAPITEL
Pollys Kehle war wie zugeschnürt, als sie die elegante Limousine durch die Toreinfahrt ihres Elternhauses gleiten sah. Ihre Hände wurden feucht, und sie verschränkte nervös die Finger ineinander. Prinz Raschid Ibn Saudal Azarin war angekommen. Benommen wandte sie sich ab.
„Warum hast du dich da drüben hingestellt?“, fragte ihre fünfzehnjährige Schwester Maggie. „Von dort kannst du ihn doch gar nicht sehen.“
„Auf das Vergnügen verzichte ich gern noch eine Weile“, erwiderte Polly.
Ihre zwölfjährige Schwester Joan und die vier Jahre alte Elaine eilten herbei. Auf der Fensterbank wurde es für die drei jüngeren Schwestern nun etwas eng, die sich die Hälse verrenkten, um besser sehen zu können.
Polly atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Was ihre Geschwister so faszinierend fanden, war für sie eine Katastrophe. Ist das Ganze vielleicht nur ein Albtraum, aus dem ich jeden Moment aufwachen werde? fragte sie sich beklommen. Sie befanden sich schließlich im England des zwanzigsten Jahrhunderts, im Zeitalter der Emanzipation der Frau. Wie war es da möglich, dass sie, Polly, eine Vernunftehe mit einem Mann eingehen sollte, den sie überhaupt nicht kannte?
„Der Wagen hält … er hat eine Flagge auf der Kühlerhaube. Das sind sicher die Farben der Königsfamilie von Dharein“, hielt Maggie ihre älteste Schwester aufgeregt auf dem Laufenden. „Der Chauffeur steigt aus … oh, er hat schwarzes Haar … er sieht wirklich wie ein Araber aus … jetzt öffnet er die hintere Wagentür …“
„Um Himmels willen, hör endlich auf!“ Polly entfuhr ein Schluchzer, der ihre Schwester erschrocken verstummen ließ. Schuldbewusst biss sich Maggie auf die Unterlippe und sah zu, wie Polly sich in einen abgewetzten Kinderzimmersessel sinken ließ und die Hände vors Gesicht schlug.
„Er trägt gar kein wallendes Gewand“, bemängelte Joan.
„Sei still!“ Maggie knuffte sie mit dem Ellenbogen in die Seite. „Polly fühlt sich nicht gut.“
Joan betrachtete ihre älteste Schwester mit unverhülltem Entsetzen. „Du kannst doch nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Daddy wäre ruiniert, und Mummy hat vor Stolz schon total abgehoben!“
„Polly!“, rief Maggie unvermittelt. „Raschid sieht super aus! Wirklich!“
„Prinz Raschid“, berichtigte Joan sie herablassend. „Von einem Mann wie ihm darf man nicht gleich so plumpvertraulich sprechen.“
Maggie strafte ihre Schwester mit einem vernichtenden Seitenblick. „Du meine Güte, er wird doch schließlich unser Schwager!“ Polly zuckte zusammen. Ihre Schläfen pochten, und trotz der Tabletten, die sie genommen hatte, wurden ihre Kopfschmerzen noch schlimmer. Der Vormittag hatte kein Ende nehmen wollen. Beim Mittagessen waren alle ungewohnt schweigsam gewesen, und Polly hatte keinen Bissen hinuntergebracht. Ihr Vater auch nicht. Er hatte den hilflos anklagenden Ausdruck in Pollys Augen offenbar nicht mehr länger ertragen können, denn er war noch vor dem Nachtisch in sein Arbeitszimmer verschwunden.
Tröstend legte Maggie Polly die Hand auf die Schulter. „Er sieht wirklich toll aus. Ehrenwort.“
„Warum kann er sich dann nicht bei sich zu Hause eine Frau kaufen?“ Polly schnäuzte sich die Nase. Erneut drohten die Nerven mit ihr durchzugehen.
„Zischt ab!“, forderte Maggie Joan und Elaine streng auf. „Und sagt Mutter ja nicht, dass Polly heult.“
Die praktisch veranlagte Joan runzelte die Stirn. „Warum weint sie denn überhaupt? Sie wird doch Prinzessin. Da würde ich bestimmt nicht flennen, sondern vor Freude Luftsprünge machen.“
„Dein Pech, dass du nicht die Älteste bist.“ Maggie hielt ihren Schwestern unmissverständlich die Tür auf.
Die beiden Jüngsten räumten murrend das Feld.
Polly schämte sich ihres Gefühlsausbruchs. Fahrig strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht und wischte sich die Augen. „Weißt du, Maggie, irgendwie kann ich immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich dazu kommt“, gestand sie. „Ich hatte die ganze Zeit über gehofft, dass er letztlich doch nicht auftaucht.“
„Dad sagt, so etwas könne ein Prinz sich nicht leisten. Ein Versprechen zu halten, sei Ehrensache.“ Maggies Stimme klang jetzt gar nicht mehr so sicher. „Ist es nicht komisch, dass wir immer gelacht haben, wenn Dad mal wieder zum Besten gab, wie er König Reija das Leben gerettet hat, indem er eine Kugel abfing? Ich glaube, die Geschichte haben wir hundert Ma