1. KAPITEL
Rio D’Aquila war reicher, als die meisten Menschen sich vorstellen konnten. Er wurde von allen gefürchtet, die einen Grund hatten, ihn zu fürchten, und er war so attraktiv, wie ein Mann es sich nur wünschen konnte.
Nicht, dass sein Aussehen ihm etwas bedeuten würde. Wichtig war allein, wer er war. Oder besser, zu wem er geworden war.
Er war in den Slums von Neapel aufgewachsen. Mit siebzehn hatte er sich als blinder Passagier auf einen brasilianischen Frachter geschmuggelt. Als die Crew ihn entdeckte, rief sie ihn „Rio“, weil das der Zielhafen des Schiffes war. Das „Aquila“ hängten die Seeleute daran, weil der Halbwüchsige mit der Gereiztheit eines Adlers auf ihre derben Späße reagierte. Rio D’Aquila gefiel dem Jungen besser als Matteo Rossi – diesen Namen hatten ihm die Nonnen im Waisenhaus gegeben.
Heute war er zweiunddreißig und der namenlose Junge von einst nur noch eine schwache Erinnerung. Rio bewegte sich in einer Welt, in der Geld und Macht als Selbstverständlichkeit galten und von Generation zu Generation weitergegeben wurden.
Von seinen Eltern jedoch hatte Rio nichts als das schwarze Haar, die dunkelblauen Augen, ein markantes Gesicht und einen Meter neunzig Körpergröße geerbt. Alles andere, was er besaß – Villen, Autos, Flugzeuge und das Unternehmen Eagle Enterprises, das Weltruf genoss –, hatte er sich selbst erarbeitet.
Es machte den Erfolg umso süßer, wenn man bei null anfing und bis zur Spitze gelangte. Falls es überhaupt einen Nachteil gab, dann den, dass dieser Erfolg Aufmerksamkeit erregte.
Zuerst hatte Rio das Interesse an seiner Person genossen. Als er anfangs dieTimes aufgeschlagen und seinen Namen im Wirtschaftsteil gelesen hatte, da hatte er sich gut gefühlt. Inzwischen war er es nicht nur leid, sondern ihm war längst klar, wie bedeutungslos es war. Wenn jemand in den Top Ten derForbes-Liste stand, reichte allein seine Existenz für Schlagzeilen. Wenn dieser Mann dann auch noch Junggeselle war, fiel er augenblicklich in die Kategorie „begehrt“. Spätestens dann legte jede Frau es darauf an, sich seinen Namen, seinen Status, sein Geld zu angeln. Damit war die Privatsphäre eines Mannes endgültig zerstört.
Rio legte großen Wert auf seine Privatsphäre. Ihm war gleich, was die Leute über ihn sagten und ob sie ihn brillant oder skrupellos nannten. Er hielt sich an seinen eigenen Ehrenkodex: Ehrlichkeit, Entschlossenheit, Logik. Mit beachtlicher Konsequenz konzentrierte er sich auf sein Ziel und kontrollierte seine Emotionen. Vor allem Letzteres war unerlässlich.
Doch heute, an diesem heißen Augustnachmittag, hatte selbst er die Kontrolle über seine Emotionen verloren.
Er war, gelinde ausgedrückt, stinksauer.
Wenn ihn ein Businessdeal frustrierte, ging er normalerweise in seinen Boxklub in Manhattan und reagierte sich bei ein paar Runden im Ring mit seinem Sparringpartner ab. Doch er war nicht in New York, sondern in Southampton auf Long Island, an der exklusiven South Shore. Hier suchte er nach dem immer schwerer zu erreichenden Zustand, den man allgemein Ruhe nannte, und, verdammt, dieses kostbare Gut würde er sich nicht von irgendeinem Typen namens Izzy Orsini kaputt machen lassen!
Darum versuchte er seit einer guten Stunde, sein Temperament mit einem Spaten abzukühlen. Wenn seine Geschäftspartner ihn jetzt sehen könnten … Rio D’Aquila in Jeans, T-Shirt und Arbeitsstiefeln in einem Graben stehend und Erde schaufelnd?
Schon früher hatte er Gräben ausgehoben, auch wenn niemand in seiner Welt davon wusste. Und obwohl er das heute keineswegs vorgehabt hatte, war es immer noch besser, als mit jeder Minute wütender zu werden.
Noch vor zwei Stunden hatte er gute Laune gehabt. Er war früh angekommen, hatte die kleine Sportmaschine selbst geflogen und war am Flughafen in Easthampton in den Chevy Silverado umgestiegen, den sein Verwalter für ihn bereitgestellt hatte.
Southampton war ein pittoreskes Städtchen, und an einem Freitagmorgen war hier nicht viel los. Mit dem Mann, der den Infinity-Pool für ihn anlegte, hatte Rio in einem kleinen Café gefrühstückt. Sie hatten sich über die Größe und die Form des Pools unterhalten. Ein angenehmes Gespräch, genauso angenehm wie die Tatsache, dass Rio in einem Café sitzen konnte, ohne sofort ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Deshalb hatte er das Wochenendhaus auch hier bauen lassen, auf fast drei Hektar aberwitzig teurem Land direkt am Meer. Hier interessierte sich nämlich niemand für Berühmtheiten. Glaubte