1. KAPITEL
Gemma Watkins trat aus dem Wartezimmer des Krankenhauses und blieb wie angewurzelt stehen. Auf dem Flur kam ein hochgewachsener Mann auf sie zu. Seine breiten Schultern, sein zielstrebiger Gang erinnerten sie an …Oh nein, bitte nicht Tate Chandler!
In diesem Moment sah er sie. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, bevor er seine Schritte beschleunigte. „Gemma.“
Sofort löste seine Stimme ein vertrautes, köstliches Prickeln bei ihr aus. Das war der Mann, der einmal ihr Liebhaber gewesen war. Der Mann, in den sie sich verliebt und der ihr vor zwei Jahren das Herz gebrochen hatte. Sie konnte kaum glauben, dass er nun vor ihr stand.
Tate Chandler war Australier und hatte dem Unternehmen seiner Familie, einer Uhrenmanufaktur, zu internationalem Ansehen verholfen. Er machte in jeder Lebenslage eine gute Figur – hier im Krankenhaus genauso wie hinter dem Schreibtisch in seinem exquisit eingerichteten Büro oder in seinem luxuriösen Penthouse in einem der wohlhabendsten Vororte von Melbourne. Er war Milliardär und sah fantastisch aus. Noch beeindruckender waren jedoch die Kraft und Präsenz, die er ausstrahlte. Zudem hatte er ein goldenes Händchen … Wie magisch seine Berührungen waren, wusste sie aus eigener Erfahrung. Sie schluckte. „Hallo, Tate.“
Aus seinen blauen Augen musterte er sie von den blonden Haaren, die ihr über die Schultern fielen, bis zu den leicht geröteten Wangen, als könnte er den Blick nicht von ihr abwenden. Dann musterte er sie misstrauisch. „Ich hoffe, es ist nur ein Zufall, dass du hier bist.“
„Ich bin nicht sicher, was du meinst“, erwiderte Gemma irritiert.
Er sah sie skeptisch an. „Meine Familie hat heute hier im Namen meines Großvaters die neue Kinderstation feierlich eingeweiht. Sicherlich hast du davon gehört. Alle Medien haben darüber berichtet.“
„Nein, das habe ich nicht.“ Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen zu arbeiten und den Kopf über Wasser zu halten. „Dann ist dein Großvater also … gestorben?“
„Vor drei Monaten.“
„Das tut mir leid.“ Sie wusste, dass Tate ihm sehr nah gestanden hatte. „Aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich heute hergekommen bin, um dich zu treffen. Wenn ich das wollte, könnte ich dich jederzeit sehen.“
„Meinst du?“
Gemma tat das Herz weh. Er hatte ihr also ihren angeblichen Betrug immer noch nicht verziehen. Aber hatte sie das wirklich erwartet? Diese Überlegung erinnerte sie daran, weshalb sie heute im Krankenhaus war. Was für ein Pech, dass sie gerade jetzt die Krankenschwester aus dem Aufwachraum suchen wollte. Vermutlich konnte sie dankbar sein, wenn der Rest seiner Familie nicht auch noch auftauchte. „Nun, ich muss …“
„Was machst du dann hier?“, fragte er ohne einen Funken von Freundlichkeit.
„Jemand, mit dem ich … befreundet bin, wird hier behandelt.“
„Ein Mann?“
„Äh …Gewissermaßen.“
„Natürlich ist es ein Mann“, sagte Tate abfällig. „In dieser Hinsicht hat sich nichts geändert, oder?“
Durch ihr Zögern wirkte sie tatsächlich schuldbewusst. Allerdings aus einem völlig anderen Grund, als er glaubte. „Das hat nichts mit dir zu tun. Mach es gut.“ Sie reckte das Kinn und wollte an ihm vorbeigehen.
Aber er hielt sie am Arm fest. „Weiß der arme Kerl, dass er einer von vielen ist?“
„Ich …“
„Was? Dich kümmert das nicht? Glaub mir, das weiß ich besser als jeder andere.“
Gemma war von diesen Anschuldigungen, die aus heiterem Himmel auf sie niederprasselten, zutiefst verletzt. Sie war Tate damals auf einer Party begegnet, die ihr Chef, ei