1. KAPITEL
Polizeichef Mitch McKee hatte beinahe schon den Ortsausgang von Chapel, Tennessee, erreicht, als er den Polizeiruf hörte. Nach einem langen Tag voll ermüdender Diskussionen mit dem Stadtrat sehnte er sich danach, endlich aus der Stadt herauszukommen. Chapel war eine kleine Universitätsstadt in der Nähe von Chattanooga, die voller Stolz auf eine lange Geschichte zurückblicken konnte, in der Alkoholschmuggler und Schwarzbrenner eine ebenso wichtige Rolle spielten wie ehrwürdige, reiche, alte Familien. Im Augenblick war Mitch aber keineswegs von Stolz auf seine Heimatstadt erfüllt, sondern eher von Verärgerung, denn der Stadtrat kam ihm wie eine Herde sturer Maulesel vor, die nicht akzeptieren wollten, dass die Zukunft auch an Chapel nicht vorbeiging. Während der fruchtlosen Debatten war Mitch mehr als einmal kurz davor gewesen, die Geduld zu verlieren.
Wie viel lieber wäre er angeln gegangen!
“Les, ein Wagen liegt in der Ravenswood Road im Graben”, erklärte Myra von der Funkzentrale. “Es soll sich um eine hilflose junge Frau handeln”, fügte sie noch hinzu und lachte leise.
“Bin schon unterwegs”, erklang die Stimme des Hilfssheriffs, der heute Abend Dienst hatte. “Es ist sowieso nicht viel los.”
Mitch hatte Schwierigkeiten abzuschalten. Als Polizeichef war er offensichtlich für alles und jeden verantwortlich. Aber wenn es hart auf hart kam, erwarteten die Leute im Rathaus von ihm, dass er sich genau nach ihren Vorstellungen richtete.
Das konnte man mit ihm nicht machen.
Sicher, die wilden Zeiten des Mitch McKee waren vorbei. Inzwischen hatte er bei den Marines gedient und hatte sogar eine Reihe von Auszeichnungen bekommen. Aber wenn es darum ging, sich nach bestimmten Regeln zu richten, dann konnte er nur diejenigen befolgen, die er auch selbst akzeptierte.
Wenn er an die absurden Vorschläge des Bürgermeisters in Sachen Verkehr dachte, dann packte ihn immer noch die kalte Wut.
Um sich abzulenken, wollte Mitch Les zu Hilfe kommen, zumal die Ravenswood Road auf seinem Weg lag. Und ein Auto aus dem Dreck zu ziehen war immer noch besser, als sich über die verrückten Ideen des Bürgermeisters zu ärgern. Ihm graute es schon vor der nächsten Versammlung.
Fünfzehn Minuten später leuchtete Mitch die Bremsspur auf dem Asphalt der Ravenswood Road ab und schüttelte den Kopf.
“Sie trainieren wohl für die Formel 1, was?”, fragte er die gut angezogene Rothaarige, die auf der Fahrertür ihres auf die Seite gekippten goldfarbenen Mercedes saß.
“Ich bin eine ausgezeichnete Fahrerin”, entgegnete die junge Frau nachdrücklich. “Ich habe nur gerade telefoniert, als das Reh über die Straß