1. KAPITEL
Ich hätte es nicht tun sollen, dachte Jaime, als sie in dem elegant ausgestatteten Raum wartete, der so gar nicht den allgemeinen Vorstellungen von einem Büro entsprach.
Doch trotz der üppigen Chiffonvorhänge vor den hohen Fenstern, der Seidentapeten und der Originalgemälde berühmter Maler war es das Arbeitszimmer von Catriona Redding, der erfolgreichen Romanschriftstellerin.
Jaime atmete tief ein und aus.
Schon allein der Schreibtisch, auf dem Unterlagen, Bücher, Bleistifte und Kugelschreiber herumlagen, war bestimmt ein kleines Vermögen wert. Wie Jaime wusste, schrieb Catriona Redding ihre Manuskripte mit der Hand, was in diesem lichtdurchfluteten Raum mit Ausblick auf den Swimmingpool und die herrliche Copperhead Bay im Hintergrund bestimmt viel angenehmer war, als am Computer zu arbeiten.
Jaime war auf die Bermudas gekommen, um sich bei der Autorin vorzustellen. Obwohl Catrionas Agent in London gemeint hatte, Jaime sei für den Job geeignet, lag die endgültige Entscheidung bei Catriona selbst.
Während sie das Zimmer betrachtete, überlegte sie, ob man sie vielleicht absichtlich warten ließ, um sie einzuschüchtern. Sie wusste viel zu wenig über die Frau, der sie jetzt begegnen würde, und ihre Zweifel wurden immer größer.
Was erhoffe ich mir eigentlich davon? fragte Jaime sich. Sie war Dozentin für Englisch und an selbstständiges Arbeiten gewöhnt. Wollte sie wirklich Catriona Reddings Sekretärin spielen, wenn auch nur vorübergehend?
Ja, natürlich, denn ich will Catriona Redding kennenlernen und die Beweggründe für ihr Handeln von damals herausfinden, beantwortete sie sich die Frage selbst.
In London hatte man Jaime erklärt, Catriona Redding würde sich unmittelbar nach dem Vorstellungsgespräch entscheiden, ob sie sie zwei Wochen zur Probe einstellen wolle oder nicht. Deshalb hatte man Jaime empfohlen, vorsichtshalber alles mitzubringen, was sie für einen zweiwöchigen Aufenthalt benötigen würde. Sie hatte den Rat befolgt.
Nach dem relativ langen Flug zu den Bermudas fühlte sie sich plötzlich so müde, als wäre es bereits Mitternacht. Dabei war es hier erst später Nachmittag. Wahrscheinlich musste sie nur gut und lange schlafen, dann würde es ihr schon wieder viel besser gehen, und die Zweifel, mit denen sie sich auf einmal herumquälte, wären verschwunden.
Ein Geräusch von draußen schreckte sie aus den Gedanken auf. Durch die angelehnte Terrassentür hörte sie das Wasser im Swimmingpool plätschern. Am liebsten wäre Jaime aufgestanden und hätte hinausgeschaut. Sie blieb jedoch sitzen, weil sie befürchtete, Catriona Redding würde jeden Augenblick hereinkommen, und sie wollte nicht neugierig wirken. Sie durfte nicht vergessen, dass sie nur zu einem Vorstellungsgespräch hier war. Es wäre bestimmt unklug, gleich zu Anfang alles aufs Spiel zu setzen.
Dennoch drehte sie sich um und blickte hinaus. Wer immer auch jetzt im Pool herumschwamm, er war zu beneiden. Obwohl die Klimaanlage eingeschaltet war und eine angenehme Temperatur im Raum herrschte, war Jaime so angespannt und nervös, dass ihr viel zu warm wurde.
Als sie vor den Fenstern eine Bewegung wahrnahm, wurde ihr bewusst, dass jemand aus dem Pool gestiegen war. Und dann sah sie den großen dunkelhaarigen Mann, der geschmeidig wie eine Raubkatze den gefliesten Beckenrand entlangging. Jaime war froh, dass er ihr den Rücken zukehrte, denn als er sich bückte und nach dem Badetuch griff, das auf einem der Liegestühle lag, bemerkte sie, dass er nackt war.
Ihr wurde der Mund trocken. Offenbar kennt Catriona Redding ihn gut, überlegte sie und gestand sich etwas ungeduldig ein, nicht damit gerechnet zu haben, dass die Autorin mit einem Partner zusammenlebte. Eigentlich ist es doch ganz normal, dass eine erfolgreiche Frau viele Verehrer hat und nicht allein lebt, sagte sie sich jetzt.
Aber Catriona Redding war ungefähr fünfzig Jahre, und der Mann am Swimmingpool wirkte wesentlich jünger, zumindest auf die Entfernung hin.
Jaime schluckte. Ihr war unbehaglich zumute, und sie hoffte, er würde nicht durch das Arbeitszimmer ins Haus kommen. Sie wusste selbst nicht genau, weshalb sie sich so krampfhaft wünschte, diesem Fremden nicht zu begegnen. Als er in die andere Richtung davonging, atmete sie erleichtert auf.
Und in dem Augenblick wurde die Tür geöffnet. Sogleich erinnerte Jaime sich daran, warum sie hier war, und stand höflich auf.
„Miss Harris?“ Der Name sagte Catriona Redding offenbar nichts. Sie reichte Jaime kühl die Hand. An den schlanken Fingern trug sie einige elegante Goldringe, aber keinen Ehering, wie Jaime sogleich bemerkte.
„Setzen Sie sich doch, Miss Harris“, forderte sie mit angenehm klingender Stimme Jaime auf und ließ sich in den grauen Lederschreibtischsessel sinken. „Hatten Sie einen angenehmen Flug?“
Jaime rang nach Worten. Sie ärgerte sich, weil sie so nervös und betroffen war. Ich habe ein abgeschlossenes Studium hinter mir und bin seit fünf Jahren Dozentin an der Uni, mahnte sie sich und verstand sich selbst nicht mehr. Aber es half alles nich