1. KAPITEL
Wesley Brooks gähnte herzhaft und schlüpfte in seine Jeans. Er wollte den Geräuschen nachspüren, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatten. Ein kurzer Blick auf seinen Wecker zeigte, dass es kurz nach ein Uhr nachts war. Sein Flug von Dallas nach Savannah war wegen eines Unwetters verspätet gewesen, und als er endlich zu Hause angekommen war, hatte er nur noch schnell geduscht und war dann ins Bett gefallen.
Beim ersten Geräusch hatte es ein paar Minuten gedauert, bis er sich zurechtgefunden hatte und wusste, wo er sich eigentlich befand. Er war erst eine Woche vor seiner wichtigen, mehrtägigen Geschäftsreise in dieses Haus eingezogen.
Zuvor hatte er einige Jahre mit seinem besten Freund Jake Danforth in dessen Stadthaus gewohnt. Jake, der lebenslustige Partylöwe, war jetzt glücklich mit Larissa verheiratet und Vater eines entzückenden kleinen Jungen namens Peter. Damit das frisch verheiratete Paar ungestört seine Privatsphäre genießen konnte, war Wesley ausgezogen und hatte sich sein Traumhaus gekauft. Ein wunderschönes, altes repräsentatives Haus am Savannah River.
Wesley hörte wieder etwas, es war ein Rascheln.
Barfuß schlich er die Treppe hinunter. Er war jetzt ziemlich sicher, dass er sich die Geräusche nicht einbildete. Am Fuß der Treppe angekommen, hörte er es erneut. Es kam von draußen.
Er öffnete leise die Terrassentür und trat hinaus. Es war April, und Frühling lag in der Luft. Der Vollmond warf sein Licht auf den prachtvoll gestalteten Garten bis in die Ecke des Hofs, wo die Mülleimer standen.
Er erinnerte sich, dass er das Tor bei seiner Rückkehr nicht verschlossen hatte. Vielleicht war es nur ein streunender Hund oder eine Katze, die nach Futter suchte. Wesley wollte sich gerade umdrehen und ins Haus zurückkehren, als er die Bewegung einer Gestalt wahrnahm, die zu groß war, um ein Tier zu sein.
Er kniff die Augen zusammen und beobachtete, wie sich jemand über die Mülltonne beugte und darin wühlte. Sofort empfand er tiefes Mitleid für diesen armen Menschen. Sein erfolgreiches Internetunternehmen hatte ihn zum Millionär gemacht, doch er hatte nicht vergessen, woher er stammte – auch wenn die Erinnerung nach dreißig Jahren etwas verschwommen war.
Er wusste, dass er im Alter von drei Monaten auf die Treppe eines Waisenhauses gelegt und von dort von einer Pflegefamilie in die nächste abgeschoben worden war. Mit vierzehn Jahren war er schließlich abgehauen und hatte drei Tage auf der Straße gelebt, bevor die Polizei ihn fand. In diesen drei Tagen hatte er sich mit einem obdachlosen alten Mann namens Al Lombard angefreundet. Wesley hatte herausgefunden, dass Al Lehrer gewesen war, bevor er seine Frau bei einem tragischen Hausbrand verloren hatte und plötzlich ohne Familie, enge Freunde oder Versicherung dastand.
Al hatte sein Essen mit ihm geteilt, Al hatte ihm nachts eine Decke gegeben, damit er nicht fror, Al hatte ihn beschützt. Bis heute war er ihm dafür dankbar. Kaum hatte Wesley es zu Wohlstand gebracht, hatte er einen Privatdetektiv mit der Suche nach dem Mann beauftragt, nur um zu erfahren, dass er ein Jahr zuvor an einer Lungenentzündung gestorben war.
Wesley lenkte seine Gedanken wieder in die Gegenwart und entschied, dieser heimatlosen Person genug Geld zu geben, damit sie irgendwo anständig essen und sich einen warmen Platz für die Nacht leisten konnte. Das war das Mindeste, was er tun konnte. Leise ging er zurück ins Haus, rannte die Treppe hinauf, um Geld aus seinem Portemonnaie zu holen, und hoffte, dass der Unbekannte noch da war, wenn er zurückkam.
Manche Journalisten tun einfach alles für eine gute Story, und ich gehöre dazu.
Der Gedanke ging Jasmine Carmody durch den Kopf, während sie Wesley Brooks Müll durchwühlte. W