Der Anfang vom Ende
Gendarmerieinspektor Simon Polt war neu. Alles an ihm war neu. Er fühlte sich fremd in seiner Uniform, der Waffengurt war unbehaglich schwer. Am ehesten mochte er noch seine Gendarmerie-Patrouilliertasche: dickes, braunes Schweinsleder, das gut roch. Darin war fast alles zu finden, was nach der Ausbildung zum Gendarmen zu seiner neuen beruflichen Existenz gehörte: gelbe Fettkreide, Maßband, Verbandpäckchen, Blaustift (wetterfest und frostbeständig), Schreibblock, Versiegelungswachs samt bunter Schnur, Taschenlampe und Handschellen. Polt hatte das Ensemble mit einem Butterbrot und einem Apfel bereichert. Seit einer guten Stunde nach dem morgendlichen Dienstantritt saß er an einem Schreibtisch, der ihm von dessen eigentlichem Benutzer für die Dauer des Außendienstesüberlassen worden war. Die neuen Kollegen hatten ihn freundlich, wenn auch ein wenig beiläufig begrüßt, weil viel zu tun war, an diesem Montagmorgen. Polt heftete auftragsgemäß lose Blätter akkurat in den passenden Ordern ab, als er eine Hand auf seiner rechten Schulter spürte. Er zuckte zusammen.
„Aber Simon! Wer wird denn so schreckhaft sein, als Gendarm?“ Franz Gabler nahm an der anderen Seite des Schreibtisches Platz und fasste seinen jungen Kollegen freundlich und spöttisch ins Auge.„Und dann auch noch schwer bewaffnet in der sicheren Dienststelle. Bist wohl verliebt in deine Artillerie?“
„Ganz im Gegenteil, Herr Gabler, Franz, mein ich.“ Polt grinste verlegen und nahm den Waffengurt ab.„Ich bin noch ganz durcheinander.“
Jetzt schaute derältere Gendarm freundlich und gutmütig drein.„So geht’s jedem, am Anfang. Aber du wirst rasch lernen, Simon, bleibt dir auch gar nichts anderesübrig. Hast einen Freund in mir. Ich vertrete heute Harald Mank, unseren neuen Dienststellenleiter. Morgen wird er ja ein Gespräch mit dir führen. Die anderen Kollegen sind unterwegs oder haben frei. Soll ich dir ein bisschen erzählen, wenn wir schon einmal ungestört sind?“
Polt nickte.
Gabler stemmte sich mit den Füßen vom Schreibtisch ab und kippte den Sessel auf die Hinterbeine.„Bleiben wir doch beim guten Harald, unserem Chef und Gebieter. Ernährt sich von Leberkässemmeln und Grünem Veltliner. Letzterer ist vormittags mit einem oder gar zwei Tropfen Wasser verdünnt. Hat eine zänkische Frau, der Harald, darum arbeitet er so gern und ist folgerichtig Dienststellenleiter geworden. Aber unser heimlicher Chef ist der Koran Kurtl. Seitüber dreißig Jahren macht er hier Dienst. Dem ist nichts Menschliches fremd, Unmenschliches erst recht nicht.“ Gabler stellte den Sessel gerade und schaute Polt starr in die Augen.„Sei auf Scheußlichkeiten aller Art gefasst, Simon. Es wird Augenblicke geben, in denen du es bitter bereust, diesen verdammten Beruf gewählt zu haben.“
Polt, der nicht länger angestarrt werden wollte, holte sein Butterbrot hervor und betrachtete es trübsinnig.„Es ist mir nichts anderesübrig geblieben. Eigentlich wollt ich ja Lehrer werden. War aber zu teuer für meinen Vater.“ Polt biss zu.
Gabler nickte wissend.„Ah, ja, hat ja seine Bauernwirtschaft aufgeben müssen, der alte Heinrich Polt. Der Widhalm Karl wolltübrigens sogar Pfarrer werden. Jetzt ist er unser Experte für sexuell motivierte Straftaten.“
„Wie das?“
„Eigene Erfahrungen, Simon, und die reichlich. Eine Friedenstaube haben wir auch noch bei uns, einen Täuberich, besser gesagt, den Wurst Walter. Sorgt dafür, dass sich Schlägereien in Wohlgefallen auflösen, bringt Hitzköpfe zur Vernunft und bewegt Streithähne zum Einlenken. Nur zu Hause, da rutscht ihm von Zeit zu Zeit die Hand aus.“
„Und wer tut was dagegen?“
„Niemand. Tags darauf ist er ohnehin so was von schuldbewusst und zerknirscht. Kannst seine Frau fragen. Ja und dann gibt es noch den Marchart Josef. Unser Mann fürs Grobe. Fragt nicht lang, haut hin. Ist leider allzu oft die bessere Lösung. Glaub mir, Simon.“
„Also, ich weiß nicht recht.“
„Ja, was weißt du schon ... Vor Dienstschluss, am späten Nachmittag, fährst du heute mit mir ein paar Runden Streife. Die Abwechslung wird dir gut tun und es ist nie früh genug für praktische Erfahrungen.“
„Natürlich.“
„Also dann! Bis später. Ich werde mich jetzt den Aufgaben eines stellvertretenden Dienststellenleiters widmen.“
„Und das bedeutet?“
„Nichts.“
Gegen fünföffnete sich die Tür von Harald Manks Büro. Franz Gabler trat auf Polt zu.
„So, mein lieber junger Freund, wir zwei gehn’s an. Jetzt kannst den Waffengurt anlegen. Wird zwar nichts los sein, aber vielleicht ja doch. Gibt ja immer mehr Ausländer bei uns ...“
„Muss ja kein Nachteil sein, oder?“
Gabler schaute seinen jungen Kollegen schweigend an. Weindunst hing in der Luft.
„Wenn hier einer gscheit daherredet, dann ich, Simon. Und los jetzt!“
Franz Gabler lenkte den weißen VW-Käfer gemächlich durch Burgheim und bog dann in einen unbeleuchteten Feldweg ein, der, wie Polt wusste, zur Kellergasse von Brunndorf führte.
„Eine beliebte Ausweichstrecke für Betrunkene, Simon. Siehst du das Auto da vorne am Waldrand? Natürlich ohne Licht, obwohl es schon dämmert.“ Wenig später schaltete Gabler das Blaulicht ein und gab Haltezeichen.„Das ist der Wurm Karl, Simon. Nüchtern war der noch nie. Jetzt geht es nur noch darum, wie viel er getrunken hat.“ Der Gendarmöffnete die Autotür.„Kannst sitzenble