1. KAPITEL
Der griechische Milliardär Giorgios Letsos veranstaltete in seinem Stadthaus in London die Party des Jahres. Doch statt sich unter die Gäste zu mischen, beantwortete er seine E-Mails, um vor den Frauen zu fliehen, die ihn verfolgten, seit er seine Scheidung bekanntgegeben hatte.
„Ich habe gehört, dass er sie abserviert hat, weil sie Drogen genommen hat“, sagte eine Frauenstimme vor der Tür der Bibliothek. Ein Hausmädchen hatte ihm einen Drink gebracht und vergessen, diese zu schließen.
„Undich habe gehört, dass er sie mitten in der Nacht mit Sack und Pack vor der Tür ihres Vaters abgesetzt hat“, sagte eine andere Frau.
„Ich habe gehört“, ließ sich eine dritte Frau vernehmen, „dass sie wegen des Ehevertrags keinen Penny bekommen hat.“
Dass die ganzen Gerüchte seine Gäste bei Laune hielten, amüsierte Gio. Als sein Mobiltelefon klingelte, nahm er den Anruf an.
„Mr Letsos? Hier ist Joe Henley von Henley Investigations …“
„Ja?“, meinte Gio geistesabwesend, die Aufmerksamkeit immer noch auf den Laptop gerichtet, weil er glaubte, es würde sich um den üblichen vierteljährlichen Bericht handeln.
„Wir haben sie gefunden … zumindest bin ich mirdiesmal zu neunzig Prozent sicher“, fügte der Mann mittleren Alters vorsichtig hinzu, nachdem er sich bereits einmal getäuscht hatte und Gio durch die Stadt gerast war, nur um dann auf eine Fremde zu treffen. „Ich habe ein Foto geschossen und es Ihnen per Mail geschickt. Vielleicht sehen Sie es sich an, bevor wir weitermachen.“
Wir haben sie gefunden … Gio sprang auf und straffte sich, während er erneut sein Postfach öffnete. Seine dunklen Augen funkelten, als er besagte Nachricht fand und auf den Anhang klickte.
Obwohl es sich um kein besonders gutes Foto handelte, erkannte er die zierliche und doch kurvenreiche Gestalt in dem geblümten Regenmantel sofort. Er verspürte ein erregendes Prickeln und zugleich eine tiefe Befriedigung.
„Dafür werde ich Sie großzügig entlohnen“, sagte er leise, während er starr das Foto betrachtete, als könnte es sich jeden Moment in Luft auflösen.So, wie sie es getan hatte. Sie hatte ihre Spuren so gut verwischt, dass er schon geglaubt hatte, er würde sie niemals finden.
„Wo ist sie?“, hakte er nach.
„Ich habe die Adresse, Mr Letsos, aber ich kann Ihnen noch keine Hintergrundinformationen liefern“, erwiderte Joe Henley. „Wenn Sie mir ein paar Tage geben …“
„Ich will nur ihre Adresse“, fiel Gio ihm ungeduldig ins Wort.
Und dann lächelte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder. Endlich hatte er sie gefunden. Das bedeutete natürlich nicht automatisch, dass er ihr verzeihen würde. Er presste die sinnlichen Lippen auf eine Art und Weise zusammen, die seine leitenden Mitarbeiter hätte zusammenzucken lassen, denn er war ein harter, allseits gefürchteter Geschäftsmann. Aber da war sie,seine Billie, wie immer in geblümten Sachen, das herzförmige, zarte Gesicht von dunkelblonden Locken umgeben, die großen grünen Augen ungewöhnlich ernst.
„Du bist kein guter Gastgeber“, ließ sich im nächsten Moment eine Männerstimme von der Tür her vernehmen. Leandros Conistis, anders als Gio klein und blond, war sein bester Freund aus Schultagen und kam wie er aus einer wohlhabenden, privilegierten griechischen Familie. Auch seine Eltern hatten keine glückliche Ehe geführt und ihn nicht zuletzt deswegen auf ein exklusives Internat in England geschickt.
Gio klappte seinen Laptop zu und betrachtete seinen alten Freund. „Wundert dich das? Meine Partys sind doch immer gut besucht“, fügte er hinzu, wohl wissend, dass sein Reichtum wie ein Magnet auf andere wirkte.
„Ich wusste gar nicht, dass du eine Scheidungsparty gibst.“
„Es ist keine Scheidungsparty. Das wäre geschmacklos.“
„Mir kannst du nichts vormachen“, warnte Leandros ihn.
Gios markante Züge waren ausdruckslos. „Calisto und ich haben uns einvernehmlich scheiden lassen …“
„Und jetzt bist du wieder auf dem Markt, und die Piranhas ziehen ihre Kreise.“
„Ich werde nie wieder heiraten“, verkündete Gio grimmig.
„Nie wieder ist eine lange Zeit …“
„Das meine ich ernst.“
Sein Freund schwieg und versuchte dann, die Atmosphäre mit einem alten Witz aufzulockern. „Wenigstens wusste Calisto, dass Canaletto nicht der Name eines Rennpferds ist!“
Für einen Moment erstarrte Gio, denn der Witz hatte sich schon vor einer ganzen Weile abgenutzt.