1. KAPITEL
Amanda blieb kurz stehen, um einen skeptischen Blick auf das Fabrikschild im Türrahmen zu werfen, auf dem Baujahr und Bauort angegeben waren. Erst nachdem sie es sorgfältig geprüft hatte, ging sie an Bord. Sie stieg nie in ein Flugzeug, ohne vorher dieses kleine Metallschild mit eingravierter Schrift zu lesen.
Die strengen Blicke der Stewardessen meidend, zwängte sie sich den schmalen Gang entlang. Amanda entging nicht, dass sie verärgert waren. Sie hatten das ungeduldige Hin und Her über die Funkanlage mitbekommen. Während sie zu ihrem Sitz eilte, spürte sie die stechenden Blicke der Passagiere, die fünf Minuten auf sie hatten warten müssen. Eigentlich keine lange Zeit, doch für Flugreisende offensichtlich eine Ewigkeit. Sie hörte Murren und missmutiges Gemurmel.
Pech gehabt. Sie reckte das Kinn und bemühte sich, ihre Mitreisenden zu ignorieren. Es war schließlich ein Notfall, man zählte auf sie. Zum Glück hatte ihre alte Studienfreundin Kathryn sie in letzter Minute auf diesen Flug gebucht und das Bodenpersonal überredet, die Maschine aufzuhalten, während Amanda die Korridore entlanggehetzt war. Wenn sie diesen Flug verpasst hätte, den letzten des Tages, wäre sie morgen vielleicht nicht rechtzeitig zum Meeting in Auckland gewesen. Die Gefahr von Frühnebel war zu groß.
Mit einem kurzen Blick auf den Mann, der den Fensterplatz neben ihr hatte, verstaute sie ihren Laptop unter dem Sitz vor ihr. Sobald sie in der Luft waren, würde sie weiterarbeiten. Die Präsentation musste perfekt sein. Die Agentur brauchte den Auftrag, und Amanda brauchte den Job. Sie brauchte Geld – es ging buchstäblich um Leben und Tod.
Sie schnallte sich an. Das Flugzeug rollte bereits zur Startbahn, und die Stewardessen erklärten vorschriftsmäßig die Sicherheitsanweisungen. Nachdem sie diese Strecke in den letzten zwei Monaten öfter geflogen war, als ihr lieb war, konnte Amanda fast mitsprechen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie in der Businessclass saß. Sie war seit Jahren nicht mehr Business geflogen.
Die Businessclass hatte sie Kathryn zu verdanken.
Doch als die Maschine vor der Startbahn zu stehen kam, spürte sie die alte Angst in sich aufsteigen. Sie lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und betete sich in Gedanken alle Statistiken, Fakten und Zahlen vor. Es war praktisch unmöglich, dass dieses Flugzeug abstürzte.
Aber es half nicht. Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach.
Sie versuchte an die Präsentation zu denken – das würde sie ablenken.
Es gelang ihr nicht.
Sie versuchte, an ihren Großvater zu denken.
Auch das gelang ihr nicht.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Auf keinen Fall durfte sie jetzt eine Panikattacke bekommen und die anderen Passagiere noch länger aufhalten. Doch ihr Herz klopfte immer schneller, immer lauter.
Konzentrier dich auf deinen Atem.
Stoßweise sog sie Luft ein. Die Triebwerke dröhnten. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Mit den Fingern umklammerte sie den Rand ihrer Stuhllehne und hielt sich fest. Sie schloss ihre Augen noch fester und spannte jeden Muskel ihres Körpers an. Auf keinen Fall durfte sie jetzt ohnmächtig werden. Oder schreien. Oder Schlimmeres.
Atme. Ein und aus, ein und aus.
„Natürlich. Amanda! Wer sonst ist rücksichtslos und egoistisch genug, ein ganzes Flugzeug aufzuhalten?“
Sie öffnete die Augen und drehte den Kopf. Die Stimme hatte den Lärm durchschnitten wie ein Diamant Glas. Alles um sie herum schien zu verstummen.
Augen, dunkler als die Nacht, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, erwiderten ihren Blick. Seine Nase war seit einem früheren Bruch ein bisschen schief, die Stirn breit, die Wangenknochen markant. Er hatte volle Lippen, doch es lag nicht einmal die Andeutung eines Lächelns darauf. Nicht für sie.
Es war ein Gesicht, das sie bestens kannte, doch sie hatte es seit Jahren nicht gesehen.
„Hallo, Jared.“
Sie spürte kaum, wie das Flugzeug vom Boden abhob. Den Kopf an die Lehne gepresst, gelang es ihr nicht, den Blick von seinem Gesicht abzuwenden, in dem kühle Herablassung stand.
„Es muss mindestens z