1. KAPITEL
„Bei dir wird es also ein stilles Weihnachtsfest – wie gewöhnlich“, bemerkte Dawn missbilligend aus den Tiefen des Sessels, der ganz in der Nähe der offenen Küche stand. „Du solltest endlich lernen, etwas Spaß im Leben zu haben.“
Von der hochmodernen Kochinsel aus musterte Matilda ihre älteste und beste Freundin, die hübsch und wohlgerundet, kontaktfreudig und fröhlich war, und fragte sich unwillkürlich: Hätte meine Mutter mich mehr geliebt, wenn ich wie Dawn wäre?
Entschieden verdrängte sie diesen Gedanken. All das war vorbei, schon seit neun Jahren. Sie war gerade einmal sechzehn Jahre jung gewesen, als ihre Mutter gestorben war. Es hatte keinen Sinn, in der Vergangenheit zu verweilen.
Sie griff zu Lesebrille und Kochbuch und entgegnete: „Bei euch dagegen wird es wohl noch turbulenter als sonst.“
Besonders zur Weihnachtszeit wirkte Dawns Zuhause, die alte Pfarrei des malerischen Dorfes in Sussex, wie ein Magnet auf die große und fröhlich-unkomplizierte Familie. Das verwohnte weitläufige Haus füllte sich an Feiertagen stets mit Kindern und Enkelkindern, Liebe und Lachen.
Ganz im Gegensatz zu diesem prachtvoll-strengen Gebäude, das Matilda mit ihrem verwitweten Vater bewohnte.
„Ja. Die ganze Sippschaft trudelt ein, und dazu Frank und seine Eltern.“ Mit leuchtenden Augen betrachtete Dawn den Smaragdring an ihrer Hand. „Sie kommen Heiligabend an, also schon morgen. Du bist am ersten Weihnachtstag eingeladen – und dein Vater natürlich auch. Du musst also nicht kochen, obwohl Mrs. Flax Urlaub hat. Und ich akzeptiere kein Nein als Antwort. Ich kann es nicht erwarten, meiner allerbesten Freundin meinen Verlobten vorzustellen.“
„Tut mir leid.“ Matilda schüttete Mehl auf die Küchenwaage. „Aber James verbringt die Feiertage hier. Er hat heute Morgen angerufen und sich selbst eingeladen.“ Das Herz wurde ihr schwer bei dem Gedanken an ihn. Er musste sich scheußlich fühlen. Ursprünglich hatte er sicherlich geplant, Weihnachten auf eine aufregendere und romantischere Art zu verbringen als in einem Nest, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. „Ich weiß, dass ich ihn mitbringen dürfte, aber ich glaube nicht, dass ihm nach Feiern zumute ist – unter den gegebenen Umständen.“ In Erwartung eines Widerspruchs schüttete sie das Mehl so energisch in eine Rührschüssel, dass pudrige weiße Wolken aufstiegen.
Dawn drehte sich im Sessel um, stützte einen Ellbogen auf die dicke Armlehne und das Kinn in die Hand. „Dann steht dir wohl eine tränenreiche Zeit bevor, oder?“
„Ich glaube nicht, dass James Carter überhaupt Tränen vergießen kann“, entgegnete Matilda sachlich. Sie hatte ihn vor langer Zeit als Sohn des Geschäftspartners ihres Vaters kennengelernt. Vor elf Jahren, nach dem Tod seines Vaters, war James in dessen Fußstapfen getreten, im relativ jungen Alter von fünfundzwanzig. Nie hatte sie ihn starke Gefühle zeigen sehen. Er gab sich immer selbstsicher, gefasst, gleichgültig. Manchmal erschreckend unnahbar, schien er in einer eigenen Welt zu leben, in der nichts und niemand ihm etwas anhaben konnte.
Doch momentan litt er gewiss. In aller Öffentlichkeit von der Frau, die er hatte heiraten wollen, den Laufpass zu bekommen, musste eine sehr schmerzliche Erfahrung sein.
„Na ja, er wird seine Gefühle nicht unbedingt zur Schau stellen“, räumte Dawn ein. „Da seine Eltern aber tot sind, sind dein Vater und du doch praktisch seine einzige Familie. Deshalb weint er sich vielleicht bei euch aus. Und sein Ego hat bestimmt gewaltig gelitten. Wenn man bedenkt, dass die Klatschpresse noch vor wenigen Monaten ‚die himmlische Hochzeit des Jahres zwischen der ehrenwerten schönen Fiona Cambell-Blair und dem Finanzmogul‘ angekündigt hat! Und dann erklärt die feine Dame plötzlich, dass sie die ganze Sache abgeblasen hat, weil – ich zitiere wörtlich – ‚Jimmy meine hohen Erwartungen nicht erfüllt‘. Ich meine, da muss er ja total am Boden zerstört sein.“
„Wahrscheinlich“, murmelte Matilda schroff. Sie fühlte mit James und hätte diese Fiona am liebsten eigenhändig erwürgt. Sie konnte nicht nachvollziehen, wie eine Frau, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, einen so faszinierenden und unwiderstehlich maskulinen Mann wie ihn abservieren konnte. Um von dem leidlichen Thema abzulenken, schlug sie vor: „Wie wäre es, wenn du uns einen Kaffee kochst?“ Sie schaute in das Kochbuch und gab Butter zu dem Mehl. „Ich versuche gerade, Weihnachtsplätzchen zu backen. Wirklich