: Patti Smith
: M Train Erinnerungen
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462315714
: 1
: CHF 10.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Endlic : Die Fortsetzung von »Just Kids« ist da! In »M Train« erzählt Patti Smith von ihrer Ehe mit Fred Sonic Smith, von ihren Lieblingsbüchern und von Dingen und Menschen, die sie im Laufe ihres Lebens verloren hat und die dadurch für sie nur an Bedeutung gewonnen haben. Patti Smith nimmt den Leser mit in unzählige Cafés auf der ganzen Welt, in denen sie schreibt, malt, Listen komponiert und nachdenkt. Über alte Zeiten, über die Gegenwart und über die Bücher, die sie gerade liest oder dringend wieder lesen muss. Bis zu 14 Tassen Kaffee trinkt man mit ihr pro Tag und schweift dabei zusammen mit ihr durch ihr Leben, von den 1980er-Jahren bis heute. Es geht auf spektakuläre Reisen, z.B. nach Französisch-Guyana auf den Spuren von Genet oder zu den Gräbern seelenverwandter Künstler (Sylvia Plath, Rimbaud, Frida Kahlo). Immer wieder kommt Patti Smith auf für sie wichtige Autoren zurück: auf Murakami, Bolaño, Wittgenstein und Bulgakow. Jede Geschichte ist gespickt mit kleinen Besonderheiten: Begegnungen, Gegenständen, Bildern, die Patti Smith wie kaum eine andere auratisch aufzuladen versteht. Eine wunderbare Meditation über das Reisen, über kreatives Schaffen und die hohe Kunst der Kontemplation. Mit zahlreichen von Patti Smith aufgenommenen Polaroidfotos.

Patti Smith ist Musikerin, Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin und Fotografin. Ihr erstes Album »Horses« mit einem Coverfoto von Robert Mapplethorpe schrieb Musikgeschichte.  2007 wurde sie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. 2010 erschien ihr Buch »Just Kids«, das in den USA mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Außerdem erschienen von ihr »Die Traumsammlerin«, »M Train«, »Hingabe«, »Im Jahr des Affen« und »Buch der Tage«.

UMSCHALTEN


Ich steige die Treppe hinauf in mein Zimmer mit seinem Oberlicht, einem Arbeitstisch, einem Bett, der Navyflagge meines Bruders, eigenhändig von ihm gebündelt und verschnürt, und einem kleinen, mit einem fadenscheinigen Laken drapierten Sessel in der Ecke am Fenster. Ich ziehe meinen Mantel aus, es ist Zeit weiterzumachen. Ich habe einen schönen Schreibtisch, arbeite aber lieber im Bett, wie eine Genesende in einem Gedicht von Robert Louis Stevenson. Ein optimistischer, an Kissen gelehnter Zombie, der Seiten von somnambulen Früchten gebiert – nicht ganz reif oder überreif. Manchmal schreibe ich direkt in meinen kleinen Laptop und sehe schuldbewusst zum Regal, auf dem meine Schreibmaschine mit ihrem alten Farbband neben einem obsoleten Textcomputer von Brother steht. Eine anhaltende Loyalität hält mich davon ab, die beiden zu verschrotten. Dann liegen da viele Notizbücher, deren Inhalt ruft – Geständnis, Offenbarung, endlose Variationen desselben Paragraphen –, und Stapel von Servietten mit hingeschmierten unverständlichen Texten. Verkrustete Tintenfässer, Schreibfedern, Ersatzpatronen für längst verschwundene Füller, Druckbleistifte ohne Minen. Strandgut einer Schriftstellerin.

© Patti Smith
Roberto Bolaños Stuhl, Blanes, Spanien

Ich schenke mir Thanksgiving und schleppe mein Unwohlsein durch den Dezember, mit einer ausgedehnten Phase selbst auferlegter Einsamkeit, leider ohne aufhellende Wirkung. Morgens füttere ich die Katzen, packe stumm meine Sachen und mache mich auf den Weg über die Sixth Avenue ins Café ’Ino, sitze an meinem gewohnten Tisch in der Ecke und tu so, als würde ich schreiben oder ernsthaft schreiben, mit den mehr oder minder gleichen zweifelhaften Resultaten. Ich meide soziale Verpflichtungen und plane aggressiv, die Feiertage allein zu verbringen. Am Heiligabend überreiche ich den Katzen Mäusespielsachen mit Katzenminze, gehe ziellos hinaus in die verwaiste Nacht und lande schließlich nahe dem Chelsea Hotel in einem Kino, das im SpätprogrammVerblendung zeigt. Ich kaufe mein Ticket, hole mir im Deli an der Ecke einen großen schwarzen Kaffee und eine Tüte Bio-Popcorn und mache es mir hinten im Kino auf meinem Platz gemütlich. Nur ich und zwanzig andere Müßiggänger, angenehm isoliert von der Welt, die ihrer eigenen Art von Festtagsstimmung frönen, ohne Geschenke, ohne Christkind, ohne Lametta oder Mistelzweige, nur ein Gefühl vollkommener Freiheit. Ich mochte die Ästhetik des Films. Ich hatte die schwedische Fassung bereits ohne Untertitel gesehen, kannte die Bücher aber nicht und konnte jetzt also dem Plot folgen und mich in der öden schwedischen Landschaft verlieren.

Es war nach Mitternacht, als ich nach Hause ging. Die Nacht war relativ mild, und ich spürte eine große Gelassenheit, die langsam in den Wunsch überging, zu Hause in meinem Bett zu liegen. In meiner leeren Straße gab es kaum Spuren von Weihnachten, nur ein paar vereinzelte Lamettafäden, eingebettet in nasse Blätter. Ich sagte den auf dem Sofa liegenden Katzen Gute Nacht, und als ich nach oben in mein Zimmer ging, folgte mir Cairo, die kleine Abessinierkatze mit einem Fell von der Fa