: Doron Rabinovici, Natan Sznaider
: Herzl reloaded Kein Märchen
: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
: 9783633742790
: 1
: CHF 25.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 120
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Herzl reloaded. Doron Rabinovici, Autor und Historiker, in Tel Aviv geboren, in Wien lebend, und Natan Sznaider, in Deutschland geboren, in Tel Aviv Soziologie lehrend, erhalten E-Mails von niemand geringerem als Theodor Herzl, dem Begründer des Zionismus. Herzl, Rabinovici und Sznaider treten in einen Trialog über Judentum, über israelische Gegenwart und jüdische Diaspora. Erörtert wird, was aus der Vision von »Altneuland« geworden ist. Was hat uns Herzl heute noch zu sagen? Was etwa zum Konflikt mit den Palästinensern? Wie viel verbindet sein Werk Der Judenstaat mit dem heutigen Israel? Wo ist er hin der Traum vom Wiener Kaffeehaus im Orient, von einer europäischen Moderne im biblischen Zion, von einem Europa im Nahen Osten. Rabinovici und Sznaider, die gemeinsam 2004 den Band Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte im Suhrkamp Verlag herausgaben, stellen sich Herzl. Sie stellen Herzl auf die Probe. Gibt es so etwas wie eine jüdische Gesellschaft? Wie verbinden sich in Israel Tradition und Start up-Moderne? Welche Bedeutung hat die Erinnerung an die Shoah? In Auseinandersetzung mit Theodor Herzl suchen zwei Zeitgenossen nach Antworten aus der Vergangenheit und der Gegenwart für die Zukunft. Dabei tauchen sie die zugleich erscheinende Herzl-Biographie in ein neues Licht. »Sehr geehrter Herr Doktor Herzl, ... Sie wären im Israel der Gegenwart hoffnungslos verloren.«

<p>Doron Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren, in Wien aufgewachsen, ist Schriftsteller und Historiker. Sein Werk umfasst Kurzgeschichten, Romane und wissenschaftliche Beiträge. InÖsterreich hat er immer wieder prominent Position gegen Rassismus und Antisemitismus bezogen. Für sein Werk wurde er zuletzt mit dem Anton-Wildgans-Preis und dem Ehrenpreis desösterreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet.</p>

Von: doron.rabinovici@liter.at

Betreff: Herzl reloaded

Datum: 13. ‌12. ‌14 20:53
An: teddyherzl@altneuland.com

Cc: natan.sznaider@subt.il

Sehr geehrter Herr Doktor Herzl,

 

ich bin überrascht, nach so langer Zeit von Ihnen zu hören; nehmen Sie es mir nicht krumm, doch ich war davon überzeugt, Sie seien längst tot. Seit mindestens hundert Jahren!

Nicht nur, weil so viel Zeit verging und nichts mehr von Ihnen erschien, wobei alles, was von Ihnen erschien, heute kaum mehr gelesen wird und wie aus einer Welt von Vorvorgestern klingt. Ich will auch nicht davon beginnen, wie Sie zum Heiligen einer Bewegung erstarrt sind. Sie setzten immerzu alles daran, der Moses der neuen Zeit zu werden. Der war ja auch so ein Glückskind wie Sie gewesen. Er ging beim Pharao ein und aus. Er gehörte zur noblen Schicht, vergaß deshalb jedoch seine Herkunft nicht. Wie Moses setzten Sie sich für die Unterdrückten Ihres Volkes ein.

Nu, Sie wollten so sein wie er, und Ihr Wunsch ist Ihnen so was von in Erfüllung gegangen ‌… Sie sind eine Urgestalt, eine mythische Figur, von deren wirklicher Existenz die meisten jüdischen Menschen nichts wissen wollen.

Moses, von dem wir nicht einmal historisch gesichert annehmen dürfen, dass er denn je lebte, ist indes durchaus lebendiger als Sie, denn immerhin wird die Geschichte des Exodus allen jüdischen Kindern zu Pessach erzählt. Zudem sprach er Hebräisch. Stiege er heute aus einem Bus in Tel Aviv, könnte er etwa um ein Stück Brot oder ein Glas Wasser bitten. Sie, Herr Doktor, nicht. Sie beherrschen kein Hebräisch. Sie wären im Israel der Gegenwart hoffnungslos verloren.

Vielleicht ist das eines der größten Wunderwerke des Zionismus: die Wiedererweckung der Sprache, die bloß eine religiöse gewesen war, die Umformung toter Buchstaben zu einem modernen Kommunikationsmittel und zum Fundament einer Kultur mit eigener Literatur. Die Wörter der Heiligen Schrift werden nun dazu verwendet, von Popsongs, von Apps oder von Kondomen zu reden. In Modernhebräisch wird über die Emanzipation gestritten, wird telefoniert, wird gerappt und leidenschaftlich gestöhnt.

Aber womöglich ist es auch genau umgekehrt: Was geschieht eigentlich mit Menschen des 21. Jahrhunderts, wenn sie auf biblische Laute und Begriffe zurückgreifen? Anders gefragt: Ist Hebräisch modern geworden oder wird die israelische Gesellschaft allmählich ein wenig altertümlich? Sie mögen einwenden, diese atavistische Regression sei nicht unbedingt eine israelische Besonderheit. Dieser Rückfall in Zeiten, die so alt daherkommen, wie sie noch nie waren, begegnet einem in Texas, wo die christlichen Fundamentalisten uns den Himmel auf Erden bereiten wollen, und zwar auf Teufel komm raus, in Ungarn, wo das Magyarentum zur Hatz gegen Roma aufruft, in Russland und der Türkei, wo im Namen untergegangener Reiche neue Unterdrückung auflebt. Von den Dschihadisten, die derzeit im Namen des Islam den Terror zum Programm machen, ganz zu schweigen. Aber es ist genau Ihr Schreiben, das mich stutzig macht und die spezifisch israelischen Entwicklungen überdenken lässt.

Ich verstehe gar nicht, weshalb gerade Sie solchen rückständigen Phantasien nachhängen. Sie waren doch nie ein religiöser Jude, und schon gar nicht ein Vorläufer jener kleinen extremistischen Minderheit, die seit Jahrzehnten tatsächlich die Errichtung des dritten Tempels an Stelle des Felsendoms und der Al-Aqsa-Moschee plant. Ein Wahn, der nichts als eine unglaubliche Provokation für einundeinhalb Milliarden Muslime auf der ganzen Welt bedeuten würde. Eine Kriegserklärung. Sie, Herzl, hatten mit dem ganzen Firlefanz bisher nichts zu tun. Ihnen bedeutete die fundamentalistische Romantik nie viel. Wieso schwärmen Sie in diesem Email vom Tempel in Jerusalem? Was soll denn das? Ich weiß ja nicht, in welchem Roman Sie da gerade stecken, aber Sie sollten ihn lieber schnell zuklappen und in die Bücherei zurückbringen. Was Sie da schildern, hat mit dem modernen Jerusalem weniger zu tun, als Stammvater Moses mit Dana International.

Jerusalem ist, meinen Sie, nicht mehr das stinkende, stickige, laute Straßengewirr von früher. Sie sehnten