: Freimut Fitzek
: Bittere Felder
: hockebooks: e-book first
: 9783957510952
: 1
: CHF 11.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 920
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eigentlich könnte Jochen mit seinem Leben mehr als zufrieden sein. Er ist Oberstudiendirektor eines angesehenen Gymnasiums im bürgerlichen Süden Berlins, glücklich verheiratet, hat zwei Söhne, und sein Haus teilt er außerdem mit einer stattlichen Zahl von Hunden und Katzen. Die Pensionierung ist schon in Reichweite, da reißt ihn ein plötzlicher Gedächtnisverlust aus seiner Ruhe. Auf einmal tauchen die Gespenster der Vergangenheit vor ihm auf, Menschen aus seiner Umgebung verschwinden, und nichts scheint mehr sicher. Hat Jochen vielleicht selbst etwas mit deren Verschwinden zu tun? Welche Schuld hat er auf sich geladen als Heranwachsender in der NS-Zeit und in den Jahren danach? »Bittere Felder«: Freimut Fitzeks gewaltiger, furios erzählter Roman ist eine deutsche Chronik des 20. Jahrhunderts und seiner Verwerfungen - und eine Studie über die bohrende Frage persönlicher Verantwortung.

Freimut Fitzek, 1930 geboren in Wolfen in der Nähe von Niemegk, befindet sich bereits als Jugendlicher und auch heute noch im engagierten Widerstand gegen Gewalt. Sein Tätigkeitsfeld gestaltet sich vielseitig: Er war Student an der FU, Schichtarbeiter, Kurier für Ostkontakte bei den Freiheitlichen Juristen, Freier Mitarbeiter in Zirkeln ausländischer Solidaristen, Presse-Volontär und 21 Jahre lang Leiter eines Gymnasiums in Lichterfelde West. Freimut Fitzek liebt Katzen, Hunde, Kinder, Joe Cocker, New-Orleans, Katowice und seine 2006 verstorbene unkonventionelle Christa. Er hat zwei Söhne und fünf Enkelkinder und lebt heute in Berlin.

Kapitel 4


03.05.95

/ Jochen-Notizen /

Gegen 3 Uhr brach Jochen alle Aktionen ab. Alles hat seine eigene Realität. Aufstellen, zergliedern, selektieren, ergänzen, entscheiden, verknüpfen, ordnen. Er war mit einem Schlag völlig durcheinander und hatte Angst vor einem unkontrollierbaren Wutanfall. Kurzschlaf.

Was lag am 3. Mai an? Frühstück; Vorbereitung im Schulkeller, dem sogenannten Archiv; da war doch noch was, ja. Die eigentümliche Pitaval-Sache? Von wem stammte eigentlich die Sache? Keine Ahnung.

Erster Schultag nach den Osterferien. Gegen alle Gewohnheit Frühstück mit Charlotte in der Küche. Sie wollte immer Ferienzeiten verlängern. Jochen war unruhig, kaum Appetit. Morgens nur eine Scheibe trockenes Brot und Kaffee. Das meistens im Bad beim Rasieren. Aber heute fügte er sich in den Familienbrauch: geh nicht allein, wenn etwas anfängt. Wegen der zahlreichen Akten ohnehin nachher ohne Rad, der Würfelfunk war fällig. Werden sich wundern, bei dem schönen Wetter ohne Rad?

Aber so gewann er die Frühstückszeit.

Im Flur warteten die Katzen vor gefüllten Näpfen, bis auf Percy. Mücke trabte an ihnen vorbei. Charlotte schob in der Küche Tassen, Untertassen, Mittelteller, Kondensmilch, Schalen, Brot, Butter, Marmelade, Löffel, Messer, Gabeln auf die stets klemmende Ausziehfläche, Rucken, nochmals Rucken, hoffentlich klinkte sie nicht aus, Ostro müßte das nun endlich mal regeln, ein Löffel zu wenig, ein Messer zu viel.

»Schwerer Tag heute?«

Charlotte rührte Breiarten an, Cornflakes für sie, Matzinger Hundeflocken für Mücke.

»Es geht so.«

Radarkontrolle unter anderem in Mitte, Rathenaustraße.

»Dreh doch mal lauter. Vielleicht sagen sie was übers Wetter.«

Mücke schnüffelte neben dem Holzschemel. Sie starrte in den Napf. Immer das gleiche Spiel, eigentlich dasselbe. Schnüffeln, kein Fressen, Kopf steif nach oben, dann zur Seite. Warten. Jochen vorsichtig:

»Na, schmeckt das nicht?«

Schnüffeln, Kopf steif, Warten. Immer das gleiche Spiel. Charlotte zwinkerte Jochen an. Jochen beugte sich ruckartig vor.

»Na, dann nehmen wir doch …«

Mücke sprang über die Schüssel, scharfes, ungemütliches Bellen, Knurren, Nasenfell nach oben gezogen, Kleinzähne gefletscht, im Handumdrehen ein höchst unangenehmes Wesen, Fauchen, Knurren, Fressen, alles in einem Stück, Ausschlabbern, Strecken. Dann Schwanzwedeln. Sie schob sich an Jochen heran, schmatzte und leckte die herunterhängende Hand. Bei jedem gemeinsamen Frühstück dasselbe Spiel. Sie konnte das Tierheim nicht vergessen. Dort mußte sie immer um das Futter kämpfen. Allmählich bekam sie Magenprobleme. Jetzt fraß sie nur noch, wenn sie den Eindruck hatte, daß ihr alles weggenommen wurde.

»Ich bring nachher Percy zum Arzt. Er hat wieder gebrochen.« Jochen nickte und sah auf das Radio. DAX: 2028,68.

»Kommst du spät heute?«

»Nein. Ich versuche, ziemlich früh zu kommen. Brauche Zeit für die Vorbereitung der Prüfung morgen.«

»Denk aber bitte daran. Heute abend Quasimodo.«

Jochen hatte das natürlich vergessen. Jam-Session, 22 Uhr, mit Peer. Wie kam er da raus? Sonniges Wetter.

»Dreh doch mal lauter.«

Höchsttemperatur soll 20 Grad betragen. Pollenbelastung ist niedrig. Heute