: Martha Grimes
: Inspektor Jury und die Frau in Rot Roman
: Goldmann
: 9783641188030
: Die Inspektor-Jury-Romane
: 1
: CHF 8.00
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Inspektor Jury trinkt selten Champagner. Als er in einer noblen Londoner Bar Tom Williamson gegenübersitzt, genießt er ihn dafür umso mehr. Aber Williamson hat ein ernstes Anliegen: Vor siebzehn Jahren kam seine Frau Tess durch einen Sturz von einem steilen Treppenaufgang ums Leben, an einen Unfall will er aber noch immer nicht glauben. Jury nimmt sich des Falles an. Doch bevor er den Tatort in Devon inspiziert, besucht er seinen Freund Melrose Plant. Und wie es der Zufall will, fällt ihm dort eine Leiche quasi vor die Füße. Eine schöne Frau im roten Kleid soll sich von einem alten Turm gestürzt haben. Jury kann nicht widerstehen und steht bald vor mehr als einem Rätsel ...

Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die 'Mystery Writers of America' kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum 'Grand Master', und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.

Vertigo 42, im Finanzdistrikt
Montag, 18.00 Uhr

1. Kapitel

Es war viel zu hoch oben. Die Old Broad Street unter ihm war nicht mehr zu erkennen, dafür boten die Fenster, die rings um den gesamten rautenförmigen Raum verliefen, einen der großartigsten Ausblicke auf London, die er je gehabt hatte. Die Themse, Westminster, die St.-Pauls-Kathedrale, Southwark, alles im Miniaturformat. So hoch oben war er, dass ihm in dem schnellen Aufzug, der nur einmal angehalten hatte, und zwar ganz oben auf dem Tower 42, fast ein wenig schwindelig geworden war.

Jury schaute hinunter auf die Themse. Flussabwärts lagen Gravesend und Gallions Reach, die von hier aus natürlich noch nicht zu sehen waren; in der anderen Richtung gelangte man zur Isle of Dogs und weiter nach Richmond und Hampton Court. Er malte sich all die Schiffe aus, die vor nicht allzu langer Zeit noch in Richtung Londoner Docks getuckert waren, auf Rotherhithe und das Blackwall Basin zu, im gleichen Licht wie dem, das Jury nun vor sich hatte: die untergehende Sonne über der St.-Pauls-Kathedrale. Im leuchtenden Sonnenuntergang, der über den Gebäuden verharrte, wirkten die Umrisse verschwommen. Es hätten auch dunkle Hügel sein können.

Er schaute zu den Docklands hinüber, einer Gegend, die sich früher von den West India Docks bis nach hinten zum Blackwall Basin erstreckt hatte, das nach Schließung der Docks als Einziges noch geblieben war, gut achtzig Hektar von dem, was heute das Canary-Wharf-Gelände bildete. Hier hatten einst Hunderte von Hafenarbeitern gelebt und ihr Tagwerk vollbracht, heute bevölkerten Büroangestellte die gläsernen Bauten und umgewandelten Lagerhallen.

Vertigo 42, die Bar ganz hoch oben auf einem der Finanztürme in der »Quadratmeile«, aus der Londons Finanzdistrikt bestand, mochte mit dem Ziel entworfen worden sein, dort unten die Illusion einer Stadt zu erschaffen. Vielleicht rührte dieser Gedanke aber bloß von dem Champagner her, den Jury gerade trank. Champagner trank er sonst eigentlich nie, war ihn nicht gewohnt, aber den gab es nun mal hier oben, deshalb kamen die Leute her: um Champagner zu trinken.

Ein Kellner hatte zwei Gläser vor ihn hingestellt und eines eingeschenkt, »im Auftrag von Mr Williamson, Sir«. Jury trank einen Schluck. Er hatte vergessen, wie Champagner schmeckte, großartiger Champagner jedenfalls, wenn er es denn überhaupt je gewusst hatte. Dieser edle Tropfen (er hatte auf der Karte nachgesehen) kostete Mr Williamson annähernd 385 Pfund. Die Flasche wohlverstanden. Marke Krug. Darf man ein derart teures Getränk eigentlich einfach so hinunterschlucken? Oder sollte man es lediglich im Mund behalten, während sich der Blick an den vom orangefarbenen Licht überzogenen Frachtkähnen dort auf dem Fluss festmachte.

Der Kellner kehrte mit einem Schälchen großer, hell glänzender grüner Oliven zurück. Er stellte sie auf die gläserne Ablagefläche, die direkt am Fenster vor den ziemlich trendig aussehenden, aber sehr bequemen Sesseln angebracht war.

Jury war nicht hier, um sich mit einem alten Freund zu treffen, sonder