: Lukas Erler
: Auge um Auge Thriller
: btb
: 9783641183011
: Krimiserie um den blinden Ermittler Cornelius Teerjong
: 1
: CHF 8.90
:
: Spannung
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Cool, kantig, eigenwillig - der aufgrund einer Erbkrankheit erblindete Kunsthistoriker Cornelius Teerjong ist ein Mann mit radikalen Ansichten und einem gewissen Hang zum Zynismus. Auf der 'Documenta' in Kassel wird sein Bekannter, der Kameramann Henk de Byl, leblos und auf bizarre Weise verstümmelt inmitten einer Installation im Rahmen der Kunstmesse aufgefunden. Teerjong ist bestürzt und beginnt gemeinsam mit seiner Freundin, der Journalistin Jenny Urban, auf eigene Faust zu ermitteln. Eine Spur führt die beiden zurück in die Vergangenheit, zu einem unfassbaren Verbrechen, das 17 Jahre zuvor die Welt erschütterte, und Teerjong muss feststellen, dass er seinen Freund nicht annähernd so gut kannte, wie er gedacht hatte. Schritt für Schritt enthüllt sich Teerjong und Urban das Motiv des Täters, doch je mehr sie erfahren, desto weniger sicher sind sie, dass sie ihn wirklich finden wollen.

LUKAS ERLER, geboren 1953 in Bielefeld, wurde mit seinen Romanen 'Ölspur' und 'Mörderische Fracht' für den Friedrich Glauser-Preis nominiert. Für seinen ersten Jugendroman erhielt er 2015 die 'Segeberger Feder'. Lukas Erler lebt mit seiner Familie in Nordhessen.

Vier

Während er auf den Polizisten wartete und seine Beunruhigung wuchs, dachte Cornelius Teerjong daran, dass er nun schon seit mittlerweile vier Jahren völlig erblindet war. Bis in den Sommer 2008 hinein war es ihm noch möglich gewesen, Umrisse und Schattierungen wahrzunehmen. Er hatte weiterhin ohne Stock und fremde Hilfe öffentliche Verkehrsmittel benutzt und auf Rügen lange Spaziergänge am Ostseestrand unternehmen können. Dann hatte sich in unfassbar kurzer Zeit vollständige Dunkelheit auf ihn herabgesenkt.

In den ersten Jahren hatte er die Menschen, die er kannte, in zwei Gruppen unterteilt. In Menschen mit und Menschen ohne Gesicht. Familienmitglieder, Freunde und Kollegen, die er vor 2008 kannte, hatten Gesichter. Leute, die er kennengelernt hatte, nachdem er das Augenlicht verlor, hatten keine.

Der Mann, mit dem er verabredet war, hatte ein Gesicht. Und zwar ein ziemlich langes und gutmütiges, mit buschigen Augenbrauen und einem energischen Kinn. Teerjong hatte Henk de Byl kurz nach der Jahrtausendwende kennengelernt, als er für ein Projekt in Guatemala einen Dokumentarfilmer gesucht hatte, der seine Arbeit begleiten sollte. De Byl hatte sich als ein ebenso sympathischer wie talentierter Kameramann und Cutter erwiesen, und ihre Zusammenarbeit hatte beinahe drei Jahre angedauert. Danach war jeder seiner Wege gegangen, doch der Kontakt war nie ganz abgerissen. Teerjong hatte de Byl zu einer Reihe von Folgeaufträgen verholfen und ihn, wo immer es ging, weiterempfohlen. Das letzte Mal hatten sie sich 2007 in Brüssel getroffen, wo de Byl – inzwischen verheiratet – eine kleine Produktionsfirma für Videoclips und Werbefilme betrieb. In den nächsten fünf Jahren telefonierten sie gelegentlich miteinander, aber Teerjongs schwindende Sehkraft zwang ihn, sich beruflich immer stärker auf den reinen Vorlesungsbetrieb zu beschränken, sodass er für einen Filmemacher letztlich keine Verwendung mehr hatte.

Als de Byl ihn im Mai angerufen und ein Treffen auf der documenta vorgeschlagen hatte, war Teerjong ebenso überrascht wie erfreut gewesen. Und jetzt sollte er tot sein? Gestorben auf eine Weise, für die sich die Polizei interessierte? Vielleicht war dieses Notizbuch irgendwie in den Besitz einer anderen Person gelangt.

Teerjong versuchte sich zu erinnern, wie der Kameramann 2007 ausgesehen hatte, und war sich bewusst, dass das Gesicht, das er mit Mühe abrufen konnte, fünf Jahre alt war. Alle Menschen, die er vor der großen Dunkelheit gekannt hatte, waren in seiner mentalen Galerie mit einem historischen Schnappschuss vertreten, der mit ihrem aktuellen Aussehen wahrscheinlich nur noch wenig zu tun hatte.

Im letzten Jahr hatte er festgestellt, dass es für ihn immer weniger von Bedeutung war, wie Menschen aussahen. Jenny zum Beispiel hatte kein Gesicht, und er brauchte es auch nicht, um ihre Schönheit wahrzunehmen oder zu wissen, wie sie sich fühlte. Er konnte in ihrer Stimme lesen, konnte unabhängig von der Bedeutung der Worte hören, ob sie glücklich, traurig ode