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WYATT FONTENOT VERTÄUTE sein Propellerboot, blieb dann im Dunkeln stehen und lauschte den vertrauten Geräuschen des Bayou. Er war in diesen Sümpfen aufgewachsen, mit dem Quaken der Ochsenfrösche, dem Knurren der Alligatoren und dem platschenden Geräusch, mit dem die Schlangen sich von den Zypressen ins trübe Wasser fallen ließen, und das unaufhörliche Summen der Insekten war sein Schlaflied gewesen. In dieser Gegend brachte der rieselnde Regen keine Abkühlung, sondern verstärkte die Hitze eher, denn er hüllte alles in Feuchtigkeit und den atemberaubenden Duft des Marschlandes.
Langsam ließ Wyatt den Atem entweichen und weidete sich einfach an dem Anblick, der sich ihm bot. Er hatte sich im Bayou immer zu Hause gefühlt. Eigentlich war er nie besonders gern woanders hingefahren, doch im Moment war er nicht sicher, ob die Entscheidung, so bald zurückzukehren, wahnsinnig klug gewesen war. In Städten konnte er nicht atmen, doch nun, da er nach Hause gekommen war, fühlte sich seine Brust wie zugeschnürt an und sein berüchtigtes aufbrausendes Temperament grummelte in der Magengrube.
»Alles in Ordnung?«, fragte Malichai Fortunes leise. Er stand gleich links neben Wyatt, im tiefen Schatten der ausladenden Zypressen und war nicht zu sehen, solange er sich nicht bewegte.
Wyatt sah zu ihm hinüber. Malichai war ein großer Mann, kaltblütig und muskelbepackt, mit seltsamen, beinahe goldenen Augen, die einen auf den ersten Blick durchschauten. Wyatt hatte gelernt, ihm vorbehaltlos zu vertrauen. Sie waren beide todmüde und erschöpft. Vier Monate mit über vierhundert Rettungseinsätzen, die meisten in »heißen« Kriegsgebieten. Der letzte davon war komplett den Bach runtergegangen und sie beide gleich mit.
»Ja, alles in Ordnung. Ich genieße nur den Duft der Heimat«, erwiderte Wyatt.
Pfeifentabakgeruch stieg ihm in die Nase. Ein leichter Wind rauschte durch die Bäume und ließ die Äste gespenstisch hin- und herschwingen. Es hatte ihm immer Spaß gemacht, seine Freunde aus der Stadt nachts in den Sumpf mitzunehmen und ihnen einen Mordsschrecken einzujagen, ehe er sie in eine der umliegenden Bars führte, wo sie sich betrinken und mit jedem anlegen konnten, der sie falsch ansah.
Er hatte gelernt, mit Schnur und Messer zu fischen. Und zur Not auch einen Alligator mit dem Messer zu töten. Er war einer der besten Jäger in den Sümpfen. Nur wenige der Jungs, die ihn kannten, hatten ihn je zum Kampf herausgefordert. Sein Wort galt viel in der Gegend. Er hatte lange und hart studiert, um Arzt zu werden, Chirurg, damit er nach Hause zurückkehren und den Leuten im Bayou helfen konnte. Nicht, dass er nicht hätte gehen können – er hatte nicht gehenwollen. Das war ein gewaltiger Unterschied.
Wieder atmete Wyatt bewusst aus und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er wünschte, er könnte die Erinnerung an seine eigene verdammte Dummheit auch so einfach wegwischen.
»Hast du deiner Grand-mère gesagt, dass wir bei dir sind?«, fragte Ezekiel Fortunes, Malichais Bruder, leise. Viel zu leise. Es klang eher wie das leise Grummeln einer Raubkatze auf der nächtlichen Pirsch.
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