: Cheryl Strayed
: Wildblumen im Schnee Roman
: Goldmann
: 9783641185039
: 1
: CHF 8.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auch wenn das Verhältnis zu ihrer Mutter nicht immer einfach war, so freut sich die 20-jährige College-Studentin Claire Wood auf den Besuch bei ihrer Familie, die in einer ländlichen Gegend Minnesotas wohnt. Was Claire dann aber zu Hause erfährt, zieht ihr den Boden unter den Füßen weg: Ihre Mom Teresa ist unheilbar an Krebs erkrankt - mit nur 38 Jahren. Für die Woods beginnt eine Zeit der Angst und Verzweiflung. Während ihr Stiefvater Bruce beinahe am Leid seiner Frau zerbricht und ihr jüngerer Bruder Josh sich ganz zurückzieht, versucht Claire, die Familie zusammenzuhalten. Denn sie erkennt: Auch im größten Kummer entsteht Hoffnung, wenn man füreinander da ist ...

Cheryl Strayed, geboren 1968, veröffentlichte nach ihrem Studium der Literatur zahlreiche Beiträge in derNew York Times,Washington Post,Vogue und anderen Medien. Ihr biografisches Buch 'Wild - Der große Trip' avancierte zu einem beispiellosen Erfolg in den USA und stand auch in Deutschland auf Rang 1 der Bestsellerliste. Von und mit Reese Witherspoon wurde es auch erfolgreich verfilmt. Cheryl Strayed lebt mit ihrem Mann, dem Filmemacher Brian Lindstrom, und ihren beiden Kindern in Portland, Oregon.

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Sie hatte Schmerzen. Als wäre ihr Rückgrat ein Reißverschluss und jemand wäre hinter sie getreten, hätte ihn aufgezogen, hineingegriffen und ihre Organe zusammengedrückt, als wären sie Butter oder Teig oder Weintrauben, die ausgepresst werden sollten. Bei anderen Gelegenheiten war es, als ob etwas Scharfkantiges wie Diamanten oder Glasscherben ihre Knochen ritzte. Teresa beschrieb, was sie empfand – das mit dem Reißverschluss, den Weintrauben, den Diamanten und Glasscherben –, dem Arzt, der auf einem kleinen Rollhocker saß und in ein Notizbuch schrieb. Er schrieb noch, als sie bereits verstummt war, und lauschte weiter mit schiefem Kopf wie ein Hund, der in der Ferne ein Geräusch gehört hatte. Es war später Nachmittag, das Ende eines langen Untersuchungstages, und er war der letzte Arzt, derrichtige Arzt, derjenige, der ihr endlich sagen würde, was ihr fehlte.

Teresa hielt ihre Ohrringe – zwischen zwei Glasplatten gepresste und getrocknete Veilchen – in einer Hand und legte sie an, noch beim Anziehen, nachdem sie stundenlang in einem Krankenhauskittel von Zimmer zu Zimmer gewandert war. Sie untersuchte ihre Bluse auf Fussel, Katzenhaare und verirrte Fadenreste und zupfte pedantisch ab, was sie fand. Sie blickte zu Bruce, der aus dem Fenster schaute und ein Schiff im Hafen beobachtete, das ruhig und elegant über den See glitt, als wäre nicht Januar, als wäre hier nicht Minnesota, als gäbe es kein Eis.

Im Moment hatte sie keine Schmerzen und sagte dies dem Arzt, während er schrieb. »Es gibt lange Phasen, in denen ich mich richtig gut fühle«, sagte sie und lachte, wie sie bei Fremden immer lachte. Es würde sie nicht wundern, fuhr sie fort, wenn sie langsam den Verstand verlöre oder schon in die Wechseljahre käme. Oder wenn sie eine atypische Lungenentzündung hätte. Atypische Lungenentzündung war ihre neueste Theorie und die, die ihr am besten gefiel. Denn sie konnte den Husten und die Schmerzen erklären. Und warum sich ihr Rückgrat wie ein Reißverschluss anfühlte.

»Ich würde gern noch eine Untersuchung vornehmen«, sagte der Arzt und schaute zu ihr auf, als wäre er aus einer Trance erwacht. Er war jung. Jünger.Ob er dreißig war?, fragte sie sich. Er bat sie, sich wieder zu entkleiden, gab ihr einen frischen Kittel und verließ den Raum.

Sie zog sich langsam aus, zögernd zunächst, dann rasch, sich duckend, als hätte Bruce sie noch nie nackt gesehen. Die Sonne schien ins Zimmer und färbte alles zartlila.

»Wie schön das Licht ist«, sagte sie, ging zum Untersuchungstisch und setzte sich darauf. Der Kittel klaffte über ihrem Bauch, sodass rosige Haut hervorschaute, und sie drückte den Spalt mit den Händen zu. Sie war durstig, durfte aber keinen Tropfen trinken. Und hungrig, denn sie hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen. »Ich sterbe vor H