Erstes Kapitel
Alles begann mit meiner sprichwörtlichen Neugier. Ein streunender Hund hatte die Nacht auf der Fußmatte vor unserer Residenz zugebracht. Als ich am Morgen aus dem Gebäude trat, hielt ich inne, weil ich den üblen Geruch witterte, den er hinterlassen hatte, und versuchte, seine Rasse zu bestimmen. Auch auf dem Rückweg blieb ich noch einmal kurz auf dem Fußabtreter stehen.
Kurze Zeit später lag ich auf der Fensterbank in den Gemächern des Dalai Lama im ersten Stock. Mein Lieblingsplatz – nicht zuletzt, weil man von dort mit geringem Aufwand sehr viel beobachten kann. Außerdem gibt es nichts Schöneres, als mit dem Dalai Lama in einem Raum zu sein. Ob es nun an seiner Präsenz, seiner Energie oder seiner Liebe liegt – wenn man in seiner Nähe ist, überkommt einen unweigerlich eine tiefe Glückseligkeit und man hat die unumstößliche Gewissheit, dass unter der Oberfläche alles gut ist, was auch geschehen mag.
An besagtem Morgen hatte ich es mir also gerade auf der Fensterbank gemütlich gemacht und wartete darauf, in die wohlwollende Aura des Dalai Lama eintauchen zu können, als mich plötzlich ein starker Juckreiz befiel. Ich drehte den Kopf und leckte mich wie wild, doch davon wurde das Jucken nur noch schlimmer! Ich kratzte mich wie verrückt und biss mir sogar stellenweise die Haut von Bauch und Rücken. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Als wäre mein Körper von Kopf bis Pfote das Ziel einer Armee unsichtbarer Angreifer!
Seine Heiligkeit sah besorgt von seinem Schreibtisch auf.
Nur wenige Augenblicke später hörte das Jucken so unvermittelt auf, wie es begonnen hatte. Hatte ich mir das alles nur eingebildet? War es eine der unergründlichen Launen des Karmas gewesen?
Später an diesem Tag, als ich gerade von einem Spaziergang zurückkehrte, erfolgte der nächste Angriff. Der Schmerz kam so unerwartet und war so stark, dass ich von dem Aktenschrank im Assistentenbüro sprang, unsicher auf dem Boden landete und mir wild zappelnd den Rücken leckte und kratzte. Mit einem Mal schienen hundert kleine Plagegeister auf meiner Haut zu krabbeln und mich mit glühend heißen Zangen zu kneifen. Es war so schlimm, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als daran, diese Plage schnellstens wieder loszuwerden.
Tenzin – die rechte Hand des Dalai Lama in allen weltlichen und diplomatischen Angelegenheiten – spähte an seinem Schreibtisch vorbei. Er war gerade damit beschäftigt gewesen, eine Mail an einen skandinavischen Popstar zu schreiben, der in den Achtzigern große Erfolge gefeiert hatte. Nun sah er mich überrascht an.
»KSH?« Wie gewöhnlich sprach er mich mit meinem offiziellen Titel an: Katze Seiner Heiligkeit. »So kenne ich dich ja gar nicht.«
Gut beobachtet. Aber sonst wurde ich ja auch nicht von diesen grässlichen Juckattacken gequält, die mich im weiteren Tagesverlauf und auch die Nacht über heimsuchten. Ich war kurz davor, den Verstand zu verlieren.
Am nächsten Tag rief der Dalai Lama gleich in der Frühe seinen Assistenten zu sich. »Tenzin, unsere kleine Schneelöwin hat arge Probleme.«
Normaler