I. Kapitel.
Einer der feinen und eisigen Regenschauer, wie sie der Dezember oft im Rückhalt hat, fiel dicht auf die Stadt.
In der Rue d’Assas gab es wenig Passanten. Man hörte bis in die Häuser hinein das Plätschern des Wassers, das in die Rinnsteine flutete, und der Wind erschütterte diese Atmosphäre von Trübsal durch seine grollende und klagende Stimme.
Im kleinen Salon der Madame Briquart waren vier Personen vereinigt: zunächst sie selbst, die respektable Witwe eines Obersten jener schönen Kürassiere, die nun schon zur Legende geworden sind. Die Dame trug ihre. sechzig Jahre ebenso rüstig, wie sie – einem on dit zufolge – zeit ihrer Ehe die Hosen angehabt hatte; denn der Oberst verstand es nicht, sich wo anders tapfer zu halten als an der Spitze seines Regimentes. Damit soll nicht gesagt sein, daß Madame Briquart wie ein Mannweib aussah. Weit entfernt davon, war sie vielmehr ein zartes Wesen von sanftem und mildem Ausdruck, gehörte aber zu jenen Frauen, in deren Augapfel man einen ruhigen und unerschütterlichen Willen liest.
In dem ihrigen fand man auch die Beimischung der Duldsamkeit, die den überlegenen Intelligenzen die Lebenserfahrung verleiht.
Neben ihr blätterte Julia, ihre junge Nichte, in einem Album, und Florentine, deren Schwester, arbeitete an einer Stickerei. Während sie einen Roman von Octave Feuillet anhörten, den ihnen ein Herr von etwa fünfzig Jahren, Vetter Georges, wie er genannt wurde, vorlas, folgten die drei Damen dem Laufe ihrer Gedanken, die an diesem Abend ein wenig melancholisch gefärbt waren.
Ein stärkerer Windstoß ließ das Haus beinahe erzittern.
Madame Briquart duckte sich, wohlig schauernd, in ihrem Fauteuil und gab sich einem Ausbruch des egoistischen Sensualismus hin, der das Wohlbefinden desto angenehmer genießt, wenn es durch einen lebhaften äußeren Gegensatz hervorgehoben wird,
Das gleiche Gefühl wurde auch von den Gästen ihres Salons empfunden, die es je nach ihrem individuellen Charakter in besonderer Färbung zum Ausdruck brachten.
Julia hob den Kopf und murmelte: »Was für ein schreckliches Wetter!«
Florentine senkte den ihren auf ihre Arbeit wie eine Lilie, die ihren duftigen Kelch der Gewalt des Windes beugt.
Georges unterbrach seine Lektüre, zunächst um Florentine mit größerer Aufmerksamkeit zu betrachten, sodann, um mit befriedigtem Lachen auszurufen: »Wahrhaftig, Tante, in Ihrem Salon ist jetzt besser sein als zum Beispiel am Rondeau in den Champs-Elysées!«
»Wohl wahr«, entgegnete die alte Dame; »ich glaube auch, daß unsere Freunde uns heute abend im Stiche lassen und wir den Tee in sehr kleiner Gesellschaft einnehmen werden.«
»Man müßte auch – gebet Ihr’s zu? – ein wenig geisteskrank oder verliebt sein, was, wie man sagt, einander sehr ähnlich ist, um heute nach der Rue d’Assas zu kommen.«
»Ach! Verliebte!« sagte Julia, »die kommen nicht hierher!«
»Wirklich?« erwiderte Georges Vaudrez mit leichter Ironie. »Bist du dessen ganz sicher?«
»Ganz sicher. Du kannst, Vetter Georges, ohne Angst, unterbrochen zu werden, die Odyssee dieser Dame fortsetzen, die mir von der Manie, sich zu opfern, ergriffen scheint.«
Als sie diese Worte gesprochen hatte, wurde das Rollen eines Wagens, bespannt mit zwei Pferden, deren regelmäßiger Gang auf Rasse schließen ließ, hörbar und verstummte plötzlich vor dem Tore.
Die Eingangsglocke klang an.
»Gilt dieser unerschrockene Besuch uns?« fragte Madame Briquart.
Bevor man Zeit hatte, zu antworten, öffnete sich die Tür des Salons, und der alte Diener der Frau Oberst meldete den Vicomte Saski, dessen Namen die leichten Falten an den Schläfen des Vetters Georges tiefer furchte, während zweifellos der Einfluß des Wetters auf den Wangen Julias eine rosige Wolke hervorrief..
»Wie liebenswürdig von Ihnen, daß Sie dem Unwetter getrotzt haben, um uns zu besuchen!« sagte huldvoll Madame Briquart zu dem neuen Ankömmling und streckte ihm ihre weiße, runzelige Hand entgegen, über die der junge Mann nach einem in Frankreich zwar überlebten, aber in Ru