Ich war noch taufrisch, um nicht zu sagen feucht hinter den Ohren. Meine Approbation lag gerade hinter mir, und der Anzug, den ich aus diesem Anlass getragen hatte, befand sich noch in der Reinigung. Ich war vollgestopft mit theoretischem Wissen und voller Enthusiasmus, hatte aber nur wenig mehr als gar keine Ahnung, als ich meine erste Vertretung in einer großen Landarztpraxis antrat.
Ich war zu der Zeit Vollassistent in einem Düsseldorfer Krankenhaus. Vertreten sollte ich während meines ersten dreiwöchigen Klinikurlaubs einen netten, aber gestressten Kollegen, den ich aus früheren Tagen kannte. Meine anfänglichen Bedenken, ob ich der Aufgabe gewachsen sei, zerstreute er mit dem Hinweis, ich könne mich jederzeit an den bereits älteren, aber gewiss stets hilfsbereiten Kollegen Willem in der einige Kilometer entfernten Nachbarpraxis wenden. Wo sollte das Problem sein? »Du schaffst das schon!«
Was sollte ich erwidern? Nichts. Ich bin Altruist – und mein überschießendes Helfersyndrom hatte mir längst die Lippen versiegelt und die Hände gebunden. Außerdem hatte ich Mut zur Lücke – und so fand ich mich nach telefonischer Anfrage des altbekannten Kollegen zur verabredeten Zeit im Auto auf der Fahrt zur angegebenen Landarztpraxis.
Inzwischen hatte ich mir auch zurechtgelegt, dass ich keineswegs uneigennützig handelte, sondern vielmehr wertvolle Fronterfahrung im Hinblick auf eine eigene Praxisgründung oder Praxisübernahme sammeln konnte, und für die man zu der Zeit, wenn ich mich recht entsinne, acht Wochen Vertretungszeit nachweisen musste. Nach all den Jahren Theorie stand mir Praxis bevor. Ich näherte mich ihr in freudiger Erwartung.
Ich wurde vor der Landpraxis bereits mit Ungeduld erwartet. Der werte Kollege hatte seinen Familienbus beladen mit Reisegepäck, Ehefrau, Kinderschar und Berner Sennenhund. Alles war abfahrbereit. Ich hatte kaum Zeit, meinen Wagen zu parken sowie Koffer und Taschen vor die Praxistür zu stellen, da brauste mein lieber Kollege, das Fenster herunter kurbelnd, auch schon vom Hof und an mir vorbei. Er winkte und rief mir zu: »Nur Mut. Denk an Willem!«
Da stand ich nun, ich armer Tor, drinnen Praxis, ich davor ... ohne Erfahrung in praktischer Medizin und dem üblichen Tagespensum eines Landarztes, aber mit Mut zur Lücke und viel Gottvertrauen. Willem wird ja helfen.
Aber daraus wurde nichts. Pustekuchen, Totalausfall, Rohrkrepierer: Der Nothelfer aus der Nachbarpraxis entpuppte sich als »Schwaadlappen« reinsten Wassers, wie der Rheinländer handlungsunwillige Dauerredner nennt. Die fachliche Hilfe durch Willem blieb vollständig aus. Dabei suchte ich seinen Rat, gleich am Sonntag nach meiner ersten Praxiswoche. Ich suchte ihn in seiner Wohnung auf, wir machten Konversation, während der ich viel aus seinem Leben erfuhr, aber keine Antwort auf meine brandaktuellen Fragen bekam.
Willem hatte eine Menge erlebt und eine Menge mitzuteilen, aber das hatte nur rudimentär mit Medizin zu tun. Er schien sich nur in einem Drittel seiner Lebenszeit mit der praktischen Landarzttätigkeit beschäftigt zu haben. Sein ganzes Herz und zwei Drittel seiner Energie gehörten dem Waldbau.
Statt meinen Zettel mit vielen fachlichen Fragen abzuarbeiten, dozierte Willem selbstgefällig über Baumpflanzunge