1. Was ist nur aus den Heroen des Pop geworden? The Strokes, The Libertines und der Niedergang der männlichen Herrschaft
Ich persönlich bin ja ganz glücklich, wenn ich einmal ordentlich erniedrigt werde. In Popkonzerten bietet sich dazu aber nur noch selten Gelegenheit; man findet kaum mehr Künstler, die eine Erniedrigung sachgerecht durchzuführen verstehen – die also derart schön, stark, dominant, schillernd und arrogant sind, dass man sich in ihrem Angesicht schäbig, klein und nichtswürdig fühlen kann. Darin zeigt sich ein Traditionsbruch: In den sechziger, siebziger, achtziger und neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Popmusik von unerreichbaren, sehr schönen oder zumindest sehr wilden oder seltsamen Männern dominiert, die weit jenseits des mittelmäßigen und kleinen, unansehnlichen und weitgehend unwilden Lebens ihres Publikums zu existieren schienen, von Elvis Presley bis zu David Bowie, von Mick Jagger bis zu Michael Jackson, von Prince bis zu Kurt Cobain. Eine Weile lang pflegte man diese Sorte von Männern auch als «Superstars» zu titulieren.
Kurt Cobain war Anfang der neunziger Jahre der letzte Neuzugang in diese Gilde der heroischen Männer. Mit seiner Gruppe Nirvana und dem von ihr popularisierten Grunge-Genre brachte er noch einmal den breitbeinigen, maskulin schwitzenden Rock ins Zentrum der populären Musik; doch die Botschaften, mit denen er das Medium füllte, kündeten vor allem von einer zutiefst Rock-untypischen, rundum verunsicherten und mit sich selbst beschäftigten Männlichkeit. Insbesondere durch sein ausgiebig vorgetragenes Leiden an der eigenen Größe ruinierte Cobain die für den heroischen Pop-Maskulinismus wesentliche Aura der dominanten Unnahbarkeit. Er präsentierte sich als phallischer Charakter, gab dabei jedoch nur einen kläglichen, geknickten Phallus ab; einen Phallus, der nicht eingeführt und gestoßen, sondern gestreichelt und getröstet werden wollte; einen Phallus, der nicht nach einer Sexualpartnerin rief, sondern nach Mama.
Nachdem Kurt Cobain sich 1994 mit einer Schrotflinte erschossen hatte, zeigte das Publikum lange Zeit kein Interesse daran, den auf diese Weise vakant gewordenen Posten neu zu besetzen. Doch selbst wenn man den damit eröffneten Konkurs des klassischen maskulinen Rock-Heroismus – wie ich es im Folgenden tun werde – als sexualemanzipatorischen Fortschritt beschreibt, kommt man nicht umhin festzustellen, dass mit der dazugehörigen Dialektik aus auratischer Dominanz und bewundernder Demut auch ein wesentlicher Teil der überkommenen Pop-Erotik verlorengeht: jene Erotik, die aus der Lust entspringt, sich Künstlern zu unterwerfen, die überlebensgroß wirken, «larger than life».
Zum bislang letzten Mal habe ich eine gelungene Verschränkung von dominantem Rock-Maskulinismus und masochistischem Publikumsverhalten bei einem Konzert der New Yorker Gruppe The Strokes gesehen. Im März 2002 treten sie in der Berliner Columbiahalle erstmals vor einer deutschen Zuhörerschaft auf, um ihr gerade erschienenes Debütalbum «Is This It» vorzustellen; diesem ging eine klassisch musikindustriell geschulte, minutiös durchgeplante Strategie des Schürens von Erregung und der Inszenierung von Aura voran. Dazu gehörten Konzerte in winzigen Klubs und Kunstgalerien in New York für wenige Glückliche, streng limitierte, ausgesucht rätselhafte Gesprächstermine sowie der systematische Aufbau eines überhitzten Rockstar-Geweses durch kontrolliert gestreute Gerüchte über die sexuelle Orientierung der Künstler, über Schrullen, Perversionen oder sonst irgendwie am vermuteten Mehrheitsempfinden vorbeilaufende menschliche und künstlerische Idiosynkrasien. Auf dem Cover der Platte sieht man von der Seite einen weiblichen Hintern, auf den gerade ein Handschuh aus Lackleder patscht.
Zu dieser erotisch-mysteriösen Gesamtinszenierung passt auch das gleißende Konzert, das die Strokes in der Columbiahalle vor einem besinnungslos jubelnden Publikum geben. Der Auftritt dauert kaum länger als eine Dreiviertelstunde, in dieser Zeit rockt die Band sich weitgehend