Prolog
Montag, 19. Juni
1
Es war einer der heißesten Tage des Sommers. Die Pubs waren überfüllt, und ganz England befand sich im Fußballfieber. Auch in Brighton war die Weltmeisterschaftdas Thema.
Ihn interessierte das alles nicht.
In der Ferne sah er Paare und Grüppchen aus den überfüllten Lokalen kommen und den Heimweg antreten. Das Spiel war seit ein paar Minuten vorbei; schon bald würde kaum noch jemand auf den Straßen unterwegs sein, von den trinkfesten Schlachtenbummlern und den Nachtschwärmern abgesehen, die es hier in der Innenstadt in warmen Sommernächten immer gab.
Brighton schlief niemals ganz. Selbst in gewöhnlichen Nächten nicht. Die Stadt war eher wie ein komatöser Patient, der trotz tiefer Ohnmacht noch immer zuckte und murmelte. Er kannte das. Er kannte beides.
Er legte sein Handy auf den Beifahrersitz und starrte wieder hinaus in die Nacht.
Sie hat sich entschieden, dachte er. Ihre letzte SMS hatte alles gesagt, was nötig war. Später würde niemand behaupten können, sie habe keine Wahl gehabt. Sie hatte ihre Entscheidung selbst getroffen. Kein Mensch hatte sie gezwungen. Schon gar nicht er. Er war gespannt, wie sie reagieren würde, und fragte sich, ob sie die Wahrheit gesagt hatte, was den Akku ihres Handys anging. Hatte sie das vielleicht nur vorgeschoben, um ihn los zu sein? Um einen Vorwand zu haben, nicht mehr mit ihm sprechen zu müssen? Nicht mehr antworten zu müssen?
Sie war immer nett und freundlich zu allen. Selbst dann, wenn ihr gar nicht danach war. Ihre gute Erziehung, vermutete er. Bloß niemanden gegen sich aufbringen. Bloß niemandem vor den Kopf stoßen. Immer lächeln und alles mit bunten Schleifen in Geschenkpapier verpacken. Auch wenn es die pure Scheiße war, die sie darin eingewickelt hatte.
Es kotzte ihn an.
Der abkühlende Motor tickte in der warmen Sommerluft.
Eine Gruppe Jugendlicher kam aus dem Jolly Fisherman. Zwei dünne Kerle stützten einen stämmigen Typen in Jeans undEngland-T-Shirt, der offensichtlich über den Durst getrunken hatte. Der Bursche konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Er beobachtete, wie der Mann einknickte. Seine Freunde lachten und fingen ihn auf. Der Betrunkene versuchte sie abzuschütteln, aber sie hatten ihn fest im Griff. Keine zehn Meter von ihm entfernt schleppte sich die kleine Gruppe an ihm vorbei. Selbst bei dem schlechten Licht und der Entfernung konnte er die verwischten Union Jacks sehen, die sie sich wie Kriegsbemalung auf die Wangen gepinselt hatten.
Ein paar letzte Züge von der Zigarette, ehe er sie nach draußen schnippte. Dann kurbelte er das Seitenfenster hoch, stieg aus dem Wagen und schlug die Fahrertür zu.
Er hatte an der Hauptstraße unweit des Pubs in einer kleinen Nische am Fahrbahnrand geparkt; obwohl nebenan der Fußweg verlief, standen die nächsten Straßenlaternen doch so weit weg, dass er bezweifelte, man würde sein Auto bemerken. Zumindest würde es niemandem sonderlich auffallen.
Auf dem Gehweg zündete er sich in den Schatten der alten Buchen mit ihren ausladenden Ästen eine weitere Zigarette an und wartete.
Sie wolle gleich nach dem Spiel nach Hause gehen, hatte sie gesagt.
Nun, das Spiel war vorbei. Die meisten Gäste verließen jetzt das Pub und machten sich auf den Weg ins warme Bett. Ein paar Minuten noch, und sie würde ebenfalls herauskommen. Vielleicht noch fünf Minuten.
Keine Ewigkeit.
So lange konnte er warten.
2
Fran Lovey trat aus dem aufgeheizten, rauchgeschwängerten Pub nach draußen und atmete tief die kühle Nachtluft.
S