Meine Reise beginnt im südöstlichsten Zipfel Deutschlands, am Rande des Zittauer Gebirges. Einer Gegend, in der die Menschen den Buchstaben R eigentümlich rollen, wo sich Polen, Tschechen und Deutsche sehr nahekommen. Die Luft ist mild, riecht nach Frühling, nach Sommer, nach Herbst. In Bäumen, Sträuchern, an Häuserwänden und Wäscheleinen haben Spinnen feine Fäden gesponnen. Vor mir liegen 520 Kilometer einer Reise, die durch drei wärmere Jahreszeiten führt. Die B96 ist eine Lebensader von kleinen und großen Orten. Eine Straße der Arbeit, auf der Fahrräder, Autos, Traktoren und Lkws rollen, Lasten und Lüste transportiert werden, schwere und leichte Gedanken. Eine Straße des Staus, der Eile, des Vergnügens. Die B96 macht mobil und fordert zugleich ihre Opfer. Neben alten Buchen stehen Holzkreuze, neben schönen Häusern steht Zerfall.
Die B96 ist eine Straße mit Geschichte. In der DDR hieß sie F96, war die längste Fernverkehrsstraße innerhalb der DDR und gleichzeitig eine Hauptverkehrsachse von Nord nach Süd. Sie verband die Menschen und trennte sie zuweilen. Als Kind war ich oft auf ihr unterwegs. Zum Zelten an den Müritzer Seen, auf dem Weg ans Meer nach Rügen oder als Flüchtiger aus der Enge meiner Heimatstadt Potsdam in Brandenburg. Es sind die Erinnerungen von einst, die mich antreiben, Geschichten zu suchen, die von Menschen und ihren Sehnsüchten, Träumen, Zweifeln und Niederlagen handeln. Erzählt bei Wind und Wetter, zwischen Tür und Angel, bei einem Kaffee oder einem kräftigen Schluck. Das Leben als Füllhorn mit guten und schlechten Zeiten.
Was passiert auf einer Straße, die ihren Anfang an einer unbedeutenden Kreuzung in Zittau nimmt – im Hintergrund das Gebirge – und an deren Ende das Meer und ein romantischer Sonnenuntergang warten? Obwohl ich diese Straße aus meiner Kindheit kenne, ist es ungewiss, ob das mehr als 500 Kilometer lange Band eine gute Straße ist. Kon