: Liane Dirks
: Vier Arten meinen Vater zu beerdigen Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462309768
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Es gibt Linien im Leben, die haben keine Abzweigung.« Ein karibisches Bestattungsritual bildet im neuen Roman von Liane Dirks den Anlass, um die Geschichte eines leidenschaftlichen und getriebenen Mannes zu erzählen. Die Tochter ergründet sein exzesshaftes Leben - schutzlos, einfühlsam und hochpoetisch. Das Hamburg der zwanziger Jahre entdeckt Swing, Freikörperkultur und Ausdruckstanz, als Günther Dirks im elterlichen Schönheitssalon aufwächst, behütet von einem karibischen Kindermädchen. Die Mutter kreiert Düfte und Cremes, der Vater geht ins Bordell, Günther wird Jungkoch in einem Nobelhotel. Dann kommt der Krieg und führt ihn an die Ostfront, von der er mit falscher Identität bis nach Marseille flieht. Günther gründet eine Familie und nimmt sie mit nach Barbados, ins Hotel Marine. Als genialischer Küchenchef und begnadeter Geschichtenerzähler mehrt er den Ruhm des weltbekannten Hauses. Doch seit seiner Jugend ist etwas in ihm, das ihn beherrscht. Der Zwang, zum Äußersten zu gehen, der vor nichts haltmacht, auch nicht vor seinen Töchtern. Ein verheerender Hurrikan treibt die Familie zurück nach Deutschland. Dann verschwindet der Vater. Jahre später erfährt die Tochter, dass er auf Barbados im Sterben liegt. Was folgt, ist eine atemberaubende Wiederbegegnung und der Anfang eines rückhaltlosen Erzählvorgangs. Liane Dirks erzählt eine abgründige Geschichte in atmosphärischer Dichte, bildlicher Fülle und sprachlicher Präzision, die den Leser verführt und hineinzieht in ein exzesshaftes Leben.  

Liane Dirks geboren 1955, wuchs in Hamburg, der Karibik, Bayern und Nordhessen auf. Nach dem Studium längere Auslandsaufenthalte in Frankreich und Mexiko. Seit 1985 ist sie freie Schriftstellerin. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipend um der Stadt Köln, den Märkischen Literaturpreis und den Preis der LiteraTour Nord 2003. Sie hat sechs Romane veröffentlicht und 21 Bücher herausgegeben. Von ihr erschienen Vier Arten meinen Vater zu beerdigen, Roman, 2002. Narren des Glücks, Roman, 2004. Krystyna, KiWi 957, 2006. Falsche Himmel, Roman, 2006. Der Koch der Königin, 2009.

 

 

 

 

Johannes kam aus Eckernförde, wo seine Eltern ein Friseurgeschäft hatten. Er hatte dort gelernt, später geheiratet und sich kurz darauf wieder scheiden lassen. Was für die Eckernförder ungewöhnlich gewesen sein muss. Danach war er nach Hamburg gegangen. Er trank viel, spielte gern, was damals viele taten, und er liebte Frauen.

Wegen eines lahmen Beines, Folge jahrelanger Kinderlähmung, brauchte Johannes Dirks nicht in den Weltkrieg zu ziehen, das Schlachten der Menschen nicht zu sehen, das Stöhnen der Sterbenden nicht zu hören, weder an Ruhm zu glauben, noch an Niederlagen zu verzweifeln. Ein Teil von ihm wurde deshalb immer weicher.

Luise, einem Friseurgeschäft entstammend wie er und zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens bereits Inhaberin des Meisterbriefes, begegnete er beim Künstlerfest im Curiohaus. Es war das erste Kostümfest nach dem Krieg, das Thema war »Vulkanausbruch«, nicht mehr – wie noch 1913 – die Zukunft, Futur, »Futurumbumbum«.

Ganz Anhängerin des absoluten Tanzes ahmte Luise selbigen auf einem Tisch nach. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu den anderen Frauen fast vollständig verhüllt war – im Curiohaus tanzte man ab Mitternacht schon öfter einmal nackt –, um ihren Körper hingegen hing eine Gardine, im Gesicht stand Entrückung, jener einzigartige selbstverliebte Wunsch nach Ausdruck, den man ebenso schnell wie man ihn bewundern auch verachten kann, vielleicht war es aber auch ihr auffallend markantes Profil, die leichte Gedunsenheit der Wangen, die womöglich von schlechter Ernährung oder vom Hunger kam, er beschloss jedenfalls sofort, die Kordel, die die Taille hielt, vom Leib zu ziehen und diese Frau zu schwängern.

Hätte er sie nicht schwängern wollen und es wäre dennoch geschehen, so hätte sie abtreiben müssen.

Johannes Dirks hatte beschlossen, dass es von ihm nur eheliche Abkömmlinge geben sollte. In Hamburg fanden sich genug Adressen, die Liste der durch Johannes entstandenen und auf seinen Wunsch hin vernichteten Föten war lang. Denn so weich er auf der einen Seite war, so hart war er auf der anderen.

Luise und Johannes heirateten, legten ihr Geld zusammen, von Luise kam das ausbezahlte Erbe der Familie hinzu, von der sie sich losgesagt hatte, schon vor Jahren, völlig und ganz.

Als Heinz, das erste Kind, geboren wurde, hatten sie bereits ihren ersten Salon. Er hieß nach ihm, und das war gut so: »Salon Dirks – Schönheits-, Haar- und Ganzkörperpflege«.

Das Geschäft lag hinterm Ballindamm, der damals noch Alsterdamm hieß, mitten im Herzen Hamburgs, wo die Alster roch, die Elbe und das Meer, der Wind des Nordens, man konnte die Schiffssirenen hören, die Glocken von St. Petri, St. Nikolai und, wenn man genau hinhörte, sogar die von St. Michaelis. Im Inneren schmauchelten die Lockenstäbe.

 

An der Brust war der Kleine heftig. Es machte Nune Lust, ihn ebenfalls anzulegen. Bevor die Amme kam. Er zog dann so stark, dass sie fühlte, wie die Brust anschwoll, die Warzen dick wurden. Sogar etwas Flüssigkeit, meinte sie zu spüren, trat aus. Weil er auch biss, platzten sie. Und diese geplatzten Warzen wiederum zeigte sie ihm, Johannes, dem Eckernförder, als er ins Zimmer kam und sie fragte, was sie da mache. Und sie ihn ansah, sie lachte dabei. Sie lachte. Ihr Körper war ein Spiel. Sie spielte mit ihm wie ein Kind. Ernsthaft. Aber sie war kein Kind mehr. Nune war eine Frau, und die Gesetze kannte sie. Die Gesetze waren die der Herrschaften. Herrschaften konnten auch weiblich sein, so wie ihre Mam.

Sie hatte ein Sklavenstammbuch, das auch nach der Befreiung sorgfältig weitergeführt worden war. Ein kleines pappbraunes Heft. Es standen drei Muttergenerationen mit den zugehörigen Kindern darin, ohne Vater, aber die Ururgroßmutter hatte einen Vater, bei ihm stand der Preis daneben: 33 Pfund 6 Schilling, er war mit der Juba in die Karibik gekommen und 402 lebenden und 49 toten Sklaven. Wie er wirklich hieß, stand nicht drin, nur der Preis in Tinte auf einer Linie mit dem neuen Namen:

Adam. Colour: Black. Age: 13.

Weil der Urururgroßvater Adam hieß, hießen alle seine männlichen Abkömmlinge zumindest mit einem Namen ebenfalls Adam. Sie waren allesamt, wie sie sein sollten, sie hatten gesunde Zähne, kräftige Knochen, dickes Haar und wenig Angst. Wovor auch.

Die Chance der Erniedrigung ist die der Überwindung.

Sie blitzte gelegentlich in den Augen auf oder war zu hören in einem Lachen, das kein privates war, sondern ein öf