Fünftes Kapitel
Herr von Ramière irrte in dem wogenden Gedränge der geschmückten Menge herum.
Beim Wiedereintritt in diese ihm heimische Welt schämte er sich fast über die tolle unziemliche Leidenschaft, die ihn diesen Kreisen so lange entfremdet hatte. Er sah auf die im Glanz der Lichter so reizenden Damen, und alle diese wundervollen Schönheiten, diese fast königlichen Toiletten, diese zierlichen Tournüren schienen ihm über die Herabwürdigung, durch die er sich erniedrigt hatte, stumme Vorwürfe zu machen. Doch wie verhärtet er auch war, die Tränen eines armen betrogenen Mädchens schmerzten ihn.
Die Ehre dieses Abends gehörte einer jungen Dame, deren Namen niemand kannte und die durch die Neuheit ihrer Erscheinung in der großen Welt das Vorrecht genoß, die allgemeine Aufmerksamkeit zu fesseln. Schon die Einfachheit ihres Anzuges hätte hingereicht, sie inmitten der Diamanten, Federn und Blumen, welche die anderen Damen schmückten, hervorzuheben. Perlenreihen in ihr schwarzes Haar geflochten, machten ihren ganzen Schmuck aus. Das matte Weiß ihres Halsbandes, ihr weißes Kreppkleid und ihre bloßen Schultern schienen, von fern gesehen, völlig ineinander zu verschmelzen und kaum hatte die Wärme der Gemächer auf ihre Wangen jenen zarten Hauch von Rot hervorzubringen vermocht, den die mitten im Schnee erblühte bengalische Rose trägt. Sie war sehr klein, sehr zierlich und schlank. Beim Tanz war sie so leicht, daß man glaubte, ein Luftzug müsse hinreichen, sie emporzuheben. Wenn sie saß, sank sie in sich zusammen, als fehle ihrem allzu biegsamen Körper die Kraft, sich aufrechtzuerhalten; und wenn sie sprach, lächelte sie, aber mit einem schwermütigen Blick. Man verglich diese junge Frau mit einem durch Zauberkraft hervorgerufenen entzückenden Phantom, welches mit dem Licht des jungen Morgens wie ein Traumbild zerrinnen müsse.
Während man sie umdrängte, um sie zum Tanz aufzufordern, bemerkte eine Dame, welche in den Gesellschaften die Rolle eines Almanachs spielte: »Diese junge Frau ist die Tochter jenes alten Narrn Carvajal, der in Spanien der Partei Josephs anhing und später auf der Insel Bourbon in zerrütteten Vermögensumständen gestorben ist. Diese schöne exotische Blume ist sehr unglücklich verheiratet worden, aber ihre Tante steht bei Hofe gut angeschrieben.«
Raymon hatte sich der schönen Indierin genähert. Eine seltsame Bewegung bemächtigte sich seiner bei ihrem Anblick; dieses bleiche, schwermütige Antlitz hatte er schon irgendwo gesehen, vielleicht in einem seiner Träume; seine Blicke hefteten sich mit der süßen Wonne auf sie, die man beim Wiedererscheinen eines schmeichelnden Traumgesichtes empfindet, welches man für immer verloren zu haben fürchtete. Er erfuhr endlich, daß diese Dame sich Frau Delmare nannte, und nahte sich ihr, sie zum Tanz aufzufordern.
»Sie erinnern sich meiner nicht,« sagte er, »aber ich, Madame, ich habe Sie nicht vergessen können. Und doch sah ich Sie nur einen Augenblick wie im Traume, aber dieser Augenblick zeigte Sie mir so gut, so mitleidsvoll ...«
Frau Delmare erbebte.
»Ach ja, mein Herr,« sagte sie lebhaft, »ich erkenne Sie wieder.«
Dann errötete sie und schien zu fürchten, gegen die Schicklichkeit verstoßen zu haben. Sie blickte sich um, ob jemand sie gehört habe. Ihre Schüchternheit erhöhte ihre natürliche Anmut, und Raymon fühlte sich von dem Ton dieser Stimme, die ein wenig verschleiert und so sanft war, daß es schien, sie sei nur zum Gebet geschaffen, aufs innigste gerührt.
»Ich fürchtete schon,« sagte er, »niemals Gelegenheit zu finden, Ihnen zu danken. Wie glücklich bin ich, daß mir dieser Augenblick erlaubt, die Schuld meines Herzens abzutragen! ...«
»Es wäre mir noch angenehmer,« entgegnete sie, »wenn Herr Delmare seinen Anteil daran haben könnte; wenn Sie ihn näher kennen