Jürgen Osterhammel
SCHUTZ, MACHT UND VERANTWORTUNG
Protektion im Zeitalter der Imperien und danach*
So wie Jan Patočka es in dem großen Essay »Europa und Nach-Europa« als den »Hauptzweck« seines Versuchs bezeichnet, »auf die Fragen überhaupt aufmerksam zu machen«, so möchte ich nichts mehr tun, als ein Thema mit groben Strichen zu umreißen und damit vielleicht eine Diskussion anzuregen, bei der Historiker sich mit Politikwissenschaftlern, Soziologen, Völkerrechtlern und Moralphilosophen zusammentun sollten. Es geht um eine unscheinbare Vokabel aus unserem Alltagswortschatz: »Schutz«.
Zur Semantik von »Schutz«
Im westlichen Denken gehört die Kategorie »Schutz« nicht zum Grundrepertoire des theoretischen Weltbezugs. Das lexikalische Grundwerk der Begriffsgeschichte, die achtbändigenGeschichtlichen Grundbegriffe, erwähnen sie nicht. Vergeblich sucht man in Hand- und Wörterbüchern der Philosophie, der Theologie, der Soziologie und der Politikwissenschaft nach »Schutz«,protection,la protection oder benachbarten Termini aus demselben semantischen Feld. Das juristische Denken kennt keine übergreifende Kategorie des Schutzes, sondern nur zahlreiche Schutzarten: Grundrechtsschutz, Kündigungsschutz, Patentschutz, usw. In der Politikwissenschaft, besonders der Theorie der Internationalen Beziehungen, wird man auf das benachbarte Wortfeld der »Sicherheit« verwiesen. In der Soziologie schweigen die Klassiker zum Thema. Allenfalls die Diskussion um Risiko und eine »Risikogesellschaft«, die zusehen muss, wie sie sich vor unzumutbaren Risiken schützt, geht in unsere Richtung.
Diese Abstinenz gegenüber der Aufwertung eines allgegenwärtigen Alltagswortes zu einer ebenso analytisch wie normativ verwendbaren Kategorie, ist eigenartig. Sie mag jedoch von Fall zu Fall erklärbar sein. Zum Beispiel ist die Soziologie als ein Diskurs über Modernität entstanden, als eine Theorie der bürgerlichen Gesellschaft und damit von Individuen, die sich aus älteren Schutzbindungen emanzipieren und zu frei handlungsfähigen Akteuren werden. Der Idee des Schutzes haftet etwas Vormodernes, wenn nicht Archaisches an: eher Gemeinschaft als Gesellschaft. Der Feudalherr bietet seinen Vasallen und Hintersassen Schutz vor der Niedertracht der Feinde; die Kirche nimmt die Gläubigen in ihre autoritäre Obhut; der Patriarch dominiert seinen Haushalt, weil und solange er ihn nach außen als geschützten Raum garantieren kann.
Die bürgerliche Gesellschaft beruht auf dem Prinzip der – zumindest fiktiven – Gleichheit. Ein Schutzverhältnis hingegen ist eines zwischen Ungleichen, es ist asymmetrisch, eine Beziehung zwischen ein