Eins
Ulric von Huysburg kam aus dem Harzvorland, wo er auf der Burg Falkenstein einige Tage bei einem Freund zu Gast gewesen war. An einem schönen Frühlingsmorgen ritt er mit seinen beiden Knappen Cuntz und Bogdan-Otto an der Nuthe entlang, meist auf schmalen Pfaden am westlichen Ufer, manchmal auch im seichten Wasser des Flüsschens. Ihr Ziel war Spandow, wo die Askanier dabei waren, auf dem Gelände älterer slawischer Wälle eine feste Burg anzulegen und damit ein Gegengewicht zu Cöpenick zu schaffen, wo der Sprewanenfürst Jaxa residierte. Die Sonne wärmte alle mit ihren schon kraftvollen Strahlen, doch es spross noch kein Grün an den Zweigen, und der Boden war aufgeweicht vom gerade weggetauten Schnee.
Ich wirbe umbe allez, daz ein man
ze wereltlichen fröiden iemer haben sol:
daz ist ein wîp, der ich enkan
nâch ir vil grôzem werdekeit gesprechen wol.
Bogdan-Otto winkte ab. »Immerrr, wenn ich eine Frau belegen will, schlägt sie mirrr ab. Eine Hevellerrr wille ich nücht, trrrompetet die Weiber. Von wegen Frrröiden!«
»Sonst trrrifft dich nächste Feile von seine Knächte.«
Im Refektorium des Benediktinerklosters zu Ballenstedt saß im Frühjahr 1157 Albrecht der Bär mit seinen Söhnen und Töchtern beisammen, um Rat zu halten.
Im 4. Jahrtausend v. Chr. hatten sich im Gebiet um Spree und Havel Kulturen mit Ackerbau und Viehzucht herausgebildet, seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. siedelten sich verstärkt Germanen an, nach alten Quellen waren es die Semnonen, die zu den Sueben gehörten, und die Burgunden. Im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. verließen sie – bis auf einige Restgruppen – das Land der späteren Mark Brandenburg und wanderten Richtung Oberrhein und Schwaben. Ab dem 6. Jahrhundert strömten dann Slawenstämme in die Gegend um die Lausitz und um das Jahr 720 auch in den Berliner Raum. Sie übernahmen die alten germanischen Standorte, siedelten sich aber auch in noch unbewohnten Landstrichen an. Etwa seit dem 7. Jahrhundert wurde das Havelland von den slawischen Hevellern besiedelt. Einer ihrer wichtigsten Orte war Spandow, wo sie am Zusammenfluss von Havel und Spree einen Burgwall errichteten. Aus dieser Anlage war bis Ende des 10. Jahrhunderts eine befestigte Burganlage entstanden, die nun zu einem wichtigen Stützpunkt der Askanier ausgebaut werden sollte.
»Na szczęście, na dłuższą metę tylko w stanie«, sagte Bogdan-Otto. Ulric musste nur kurz überlegen, dann hatte er es übersetzt: »Glück hat auf Dauer nur der Tüchtige.«
Zwei
Auf der Halbinsel Cöpenick hatte es schon in der Bronzezeit eine Burg gegeben, und in der Mitte des 12. Jahrhunderts befand sich hier die Hauptburg und größte Ansiedlung des slawischen Stammes der Sprewanen unter ihrem Fürsten Jaxa von Cöpenick. Die Sprewanen hatten im Zuge der Völkerwanderung um 720 den Berliner Raum erreicht und sich im dünnbesiedelten Gebiet an der Spree niedergelassen. Die wenigen verbliebenen Germanen waren mehr oder minder in der slawischen Bevölkerung aufgegangen. Ulric von Huysburg wollte sich in Cöpenick als Stammesmitglied der Obotriten ausgeben, die im westlichen Mecklenburg siedelten und 955 den Krieg gegen Otto I. verloren hatten, aber knapp dreißig Jahre später die deutsche Herrschaft wieder hatten abschütteln können. Seitdem hatten im Obotritenland mal christliche, mal heidnische Fürsten geherrscht, und seit 1131 war Niklot König der Obotriten. Aber Heinrich der Löwe, der Sachsenherzog, war im Begriff, in einem neuen Wendenkreuzzug das Land der Obotriten zu erobern.
Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen:
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost ouch immer drinne sîn.
Endlich konnte er die Cöpenicker Burg am Horizont entdecken. Sie lag auf einer Insel in der Dahme, und zwar kurz vor deren Einmündung in die Spree. Eine schmale hölzerne Brücke stellte die Verbindung mit der Siedlung Cöpenick dar, die auf einer weiteren Insel angelegt war, während es am Ostufer der Dahme eine alte slawische Fischersiedlung gab,vicus Kytz, in der auch viele Bedienstete der Burg untergebracht waren.
Drei
Die Heveller hatten auf der Brandenburger Dominsel ihre zentrale Burg angelegt. 928/29 war sie von König Heinrich I. erobert worden, und Otto I. hatte 948 das Bistum Brandenburg errichtet. Im Slawenaufstand 983 war die Burg von den Hevellern zurückerobert worden, und Anfang des 12. Jahrhunderts war sie in den Fokus des Römischen Reiches geraten, dessacrum Romanum imperium, das darauf aus war, das Gebiet zwischen Elbe und Oder seinem imperialen Machtbereich einzugliedern. Wie bei allen Großreichen gab es an den Außengrenzen abgestufte politische Beziehungen zu den fremden Völkern und Stämmen sowie »Durchmischungen« der Ethnien und Kulturen. Im Bereich der Nordmark hatte man es mit drei slawischen Größen zu tun: mit Wirikind von Havelberg, Pribislaw-Heinrich von Brandenburg und Jaxa von Cöpenick – alle drei Christen. Wirikind konnte seine Erbfolge nicht regeln und spielte in den Jahren ab 1150 keine Rolle mehr, und Jaxa hatte sich auf die Seite der Polen geschlagen.
Wer von Cöpenick aus zur Brandenburg reisen wollte, brauchte im Jahre 1157 mehrere Tage dafür, man hatte unberührte märkische Urwälder und Sümpfe zu durchqueren, wie sie nur ein Urstromtal zu bieten hatte. Jedenfalls kam Jaxa äußerst langsam voran, denn sein kleines Heer bestand nur zum geringeren Teil aus Reitern, in der Mehrzahl aber aus polnischen Bogenschützen und Lanzenträgern, die zu Fuß unterwegs waren.
Ulric von Huysburg versuchte, den Ratten, die um ihn herumwuselten, klarzumachen, dass er noch am Leben war. Dazu schnellte er mit seinem Körper, sofern es die Hände, die hinter seinem Rücken zusammengebunden waren, und die ebenfalls gefesselten Füße zuließen, mal nach links, mal nach rechts. »Wartet doch, ihr verdammten Viecher, bis ich tot bin und in Verwesung übergehe, dann schmecke ich euch viel besser!«
Im Jahre 1157 dauerte es in den östlichen Grenzregionen des Heiligen Römischen Reiches sehr lange, bis die Menschen im Orte A das erfuhren, was sich in B und C ereignet hatte, und so hatte Albrecht der Bär, als er auf dem Weg nach Althaldensleben war, nicht die geringste Ahnung davon, was sich in Cöpenick und auf der Brandenburg ereignet hatte. Im Prinzip wusste er, dass seine Zukunft im Osten lag, jenseits der Linie, die von der Havel und der Nuthe gebildet wurde, und er hätte sich mehr um die Brandenburg kümmern müssen. Doch sein Gefühl stand ihm dabei im Wege, sein Hass auf alle Welfen und insbesondere auf Heinrich den Löwen. Der hatte ihm Sachsen genommen, das Gebiet, das Jahrhunderte später als Niedersachsen bezeichnet wurde.
Radogost hatte im Gästezimmer der Brandenburg prächtig geschlafen und konnte sich am nächsten Morgen ausgeruht ans Werk machen, das heißt alles vorbereiten, was Jaxa die Eroberung der Brandenburg ermöglichte, ohne dass viel Blut vergossen werden musste. Ein Knappe trat ein und bat ihn, das Frühstück gemeinsam mit Lynhardt von Schleibnitz einzunehmen.
Hayntz von Helsungen krümmte sich auf seinem Lager. Seine Schmerzen wurden immer schlimmer. Dabei hatte er am Mittagsmahl der anderen gar nicht teilgenommen und nichts gegessen und getrunken. Es musste wieder einmal die Galle sein. Er sprang auf, um in die Küche zu laufen und sich einen am Feuer erwärmten Stein zu holen und auf den Leib zu legen.
Schnell entschlossen kniete er neben ihm nieder und legte ihm das rechte Ohr auf die Brust. Gott sei Dank, er atmete noch, schlief aber so fest, dass er auch nach heftigem Schütteln nicht aufwachte. Rätselhaft … Grübelnd stand Hayntz von Helsungen da. Dann aber begriff er schlagartig, was hier geschehen war, denn oben auf der Krone des Walls erblickte er den Mann, der sich für den Ritter Ulric von Huysburg ausgegeben hatte, und der setzte eine...