1 Personenunfall
Schneider hatte seine Papiersachen im leeren Viererabteil ausgebreitet, als wäre er zuhause.
Die erste Klasse im Triebwagen des «Sprinter» zwischen Ulm und Friedrichshafen war nur von fünf Personen belegt. Im Abteil gleich bei der Führerkabine hatte sich ein älteres Paar niedergelassen; auf der andern Gangseite saß eine Lesende zwischen dreißig und vierzig im meergrünen Kleid mit toupierter Frisur, die in Ulm in letzter Minute zugestiegen war und ihre Gegenwart mit einem starken Parfüm betonte. Der Mann Schneider gegenüber war ein athletischer Vierziger mit Stirnglatze, im dunklen Anzug mit Krawatte, der halblaut redend sein Notebook befingerte. Dazu wippte er ständig mit dem linken Bein.
Plötzlich der beinharte Schlag gegen den Unterbau des Triebwagens. Achsenbruch? Hätte der Wagen dann nicht einknicken, sich schief legen,entgleisen müssen? Aber die Räder blieben in der Spur, bis der Zug vielleicht hundert Meter weiter zum Stehen kam, auf einem Damm im freien Feld.
Schneider hob die Tasche vom Sitz gegenüber und stellte sie zwischen den Beinen ab wie ein Pinguin sein Ei.
Er sah aus dem Zugfenster einen bunt kostümierten Pulk Radfahrer in die Richtung starren, aus welcher der Zug gekommen war. Sie hielten auf dem Weg am Fuß des Damms, dessen Höhe fast diejenige der Bäume gegenüber erreichte. Dahinter öffnete sich der Blick auf eine Ebene mit frisch bestellten Feldern, und in der Ferne, am Fuß bewaldeter Hügel, zeichnete sich eine Siedlung ab mit einem auffälligen, aber undefinierbaren Monumentalbau.
Jetzt knirschte der Lautsprecher. Die Durchsage war kaum zu verstehen und doch unmißverständlich.
Personenunfall. Aufenthalt unbestimmt.
Nach kurzer Stille erhob sich die Dame in Meergrün und wiederholte irritiert: Aufenthalt unbestimmt! Sie nahm die Brille ab, behielt aber das Buch in einer Hand, während sie an die Führerkabine klopfte und sogleich die Klinke drückte. In der Öffnung zeigte sich undeutlich die Gestalt des Lokführers; die Rolläden der Frontscheibe waren heruntergelassen.
Wie lang soll das dauern? Ich habe einen Termin!
Man weiß es nicht, sagte der Mann bewegungslos. – Eine Stunde, zwei.
Kommt ein Bus?
Keine Antwort.
Die Dame schloß die Tür und kehrte zögernd an ihren Platz zurück.
Unmöglich! zischte der Rentner. – Da stirbt ein Mensch –
Die Dame musterte ihn, dann kam sie in Schneiders Abteil.
Mein Handy geht nicht, die Batterie ist leer. – Dürfte ich Ihres leihen?
Ich habe kein Handy, sagte Schneider.
Nehmen Sie meins, sagte der Geschäftsmann und streckte es ihr schon entgegen. Sein Knie wippte weiter.
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