: Mirijam Günter
: Die Stadt hinter dem Dönerladen Jugendroman
: Größenwahn Verlag
: 9783957710529
: 1
: CHF 7.10
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 200
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nickis Leben liegt in Trümmern. Ihre beste Freundin Jessica, Nickis einziger Halt, ist nicht mehr da. Von den Erwachsenen kann sie keine Hilfe erwarten, schon gar nicht von ihrer Mutter. Die kapiert einfach nicht, dass es einen Unterschied macht, ob sie für ihre Tochter eine Mutter oder eine Freundin darstellt. Schrecklich unreif ist sie auch noch, kann keinen Mann halten oder trennt sich von ihren Partnern, sobald es ernst wird. Auch Rainer hat sie in die Wüste geschickt, den Polizisten und einzigen Mann, den sich Nicki jemals als Stiefvater gewünscht hätte. Genau so wenig sieht sie in den Lehrern ihrer Schule eine Hilfe. Also geht sie nicht mehr hin. Stattdessen treibt sie sich auf der Straße herum. Dort lernt sie Stefan kennen. Während der sich in sie verknallt, beginnt Nicki, Gefühle für Deco zu entwickeln. Ausgerechnet Deco, Stefans Freund! Er trifft sich mit Nicki neben dem Dönerladen, seinen Arbeitsplatz. Doch irgendwie wird sie aus Deco nicht schlau. Er scheint in Rätseln zu sprechen. Trägt er Geheimnisse mit sich herum? Was hat er zu verbergen? Unerwartet verschwindet Deco von der Bildfläche. Nicki spürt, dass etwas nicht stimmt, und macht sich auf Spurensuche in den Dönerladen. Nur stockend kommt die Wahrheit über Deco ans Licht - mit dramatischen Folgen. Am Ende wird für Nicki ihre Stadt, die Stadt neben dem Dönerladen, nicht mehr die gleiche sein. Mirijam Günter inszeniert eine lebendige Geschichte aus labilen jugendlichen Charakteren, die in der untersten Gesellschaftsschicht ums Überleben kämpfen. Eine freche, naive Göre im Glauben, die Welt drehe sich ausschließlich um sie, sieht sich mit einem 'illegalen', da ohne Papiere lebenden, intelligenten Halbwüchsigen konfrontiert, der ohne Perspektive auf eine Zukunft voller Ängste in den Tag hinein lebt. In einem Strudel aus persönlichen Schicksalen und Behördenwillkür präsentiert sich die soziale und politische Situation Deutschland

Mirijam Günter, in Köln und in vielen anderen, beinahe genau so schönen Städten aufgewachsen, absolvierte in mehreren Stationen letztlich erfolgreich die Haupt- und Realschule und krönte diese Karriere mit einem Realschulabschluss. Nach für alle Beteiligten deprimierenden Versuchen, durch das Erlernen eines ordentlichen handwerklichen Ausbildungsberufs im normalen Leben zu landen, entschied sie sich dafür, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen: das Schreiben. Seit 2006 bietet Mirijam Günter Litera-turwerkstätten an. Das sind Projekte, bei denen sie mit Jugendlichen (nicht nur) lyrische Texte liest und in denen die Teilnehmer eigene Texte schreiben, die abseits jeden Klischees sind und bei Erwachsenen oft Verwunderung hervorrufen. Sie legt ihren Schwerpunkt hauptsächlich auf Orte, wo benachteiligte Jugendliche das Gefühl haben, ein von der Bevölkerung nicht beachtetes Dasein zu fristen.

Das hier war heute mein letzter Schultag, das schwöre ich. Nie wieder betrete ich dieses Gebäude. Ich weiß, was sie von mir wollen, wenn ich in die Gesichter meiner Mitmenschen schaue. Sie wollen, dass ich wieder normal ticke. Man übersteht das, das Leben geht weiter.Alles wird gut, irgendwann wirst du drüber lachen, laber Rhabarber. Nie wird einer mal drüber lachen. Keiner. Erst recht nicht ich. Sie sollen mir eine Person zeigen, die darüber lacht, wenn die beste Freundin verschwunden ist. Jessica hieß meine beste Freundin, ihr Name war Programm. Denn wenn ein Mädchen Jessica heißt, dann darf es kein Weichei sein. Sie war ganz anders als all diese überfressenen gelang-weilten Gesichter, die jetzt in der Klasse übrig geblieben sind. Sie hatte mich mit ihrer unbekümmerten Lebensart immer mitgerissen. Ihr war es egal, was die Leute dachten. Sie lief in Kleidern rum, von denen sie manche aus dem Altkleidercontainer gefischt hatte. Sie zog bunte Ringelstrümpfe zu einem schwarzen Cocktailkleid an. Sie sprang mitten im Unterricht auf und rief: »Ich hab euch alle lieb!« Wenn sie die erstaunten Blicke der Lehrer sah, erklärte sie, dass es im Unterricht endlich mal etwas menschlicher zugehen müsste. Oft saßen wir zusammen auf einer Bank in der Innenstadt und grüßten alle Leute, die vorbeikamen. Jessica führte Listen darüber, wie viele Leute zurückgrüßten. Sie wertete die Liste aus und hielt daraufhin ein Referat in der Schule über den baldigen Zusammenbruch unserer Gesellschaft. Unser Direktor bekam das Referat zu lesen und wollte Jessica zu einer Therapie schicken. Mit fünfzehn durfte man sich keine Gedanken über die Gesellschaft machen. Das durfte man nur in der Generation des Direktors, und die machte sich keine Gedanken.

Jessica machte aber noch viel mehr. Sie kommunizierte nicht im Internet, wie es alle taten, weil sie nicht zur Vereinsamung der Gesellschaft beitragen wollte. Sie kannte alle Außenseiter dieser Stadt. Obdachlose und sogar der letzte Schmuddelpunk begrüßten sie mit Namen. Sie ging regelmäßig, ohne Bezahlung, mit einer verwirrten alten Dame spazieren.

Da wir Freundinnen waren, lief ich bald auch in Sachen herum, die aus dem Rahmen fielen. Im Gegensatz zu meinen Klassenkameraden trug ich keine Markenklamotten, sondern konnte einfach in einer Jogginghose auftauchen. Mit Jessica war es mir egal, was die anderen von mir dachten. Mit ihr fühlte ich mich stark, denn wir wussten, dass es auf uns ankam, die Gesellschaft vor dem Wahnsinn zu retten, weil nur wir die Ungerechtigkeiten sahen und alles verstanden. Jetzt aber, wo nur noch ich da war, verstand ich nichts mehr und ich wollte nicht mehr die Welt retten. Ich sah nicht die Gesellschaft vor die Wand knallen, sondern mich. Ohne Jessica fühlte ich mich wie ein wirklicher Außenseiter, ich hatte irgendwie meine Daseinsberechtigung verloren. Sie hatte meiner Außenseiterrolle Sinn gegeben. Sie wusste, was zu tun war, und riss mich mit. Mit Jessica auf dem Pausenhof zu stehen und Leute anzupöbeln, die schwachsinnige Parolen von sich gaben, das war tough. Alleine hielt ich die Klappe. Ich regte mich nicht mehr über die Dummheit meiner Mitmenschen auf, die nicht begriffen, was los war, und sich einnebeln ließen. Ich wäre froh gewesen, etwas zu haben, was mich einnebelte.

Jessica war wunderschön und hochintelligent, sie hätte die tollsten Jungen haben können, aber sie hatte einen ganz speziellen Geschmack. Auf einer Party, bei der fünfundzwanzig Jungen waren, nahm sie sich garantiert den Jungen mit dem größten Dachschaden und knutschte mit ihm rum. Aus i