: Lorenz Just
: Mohammed Das unbekannte Leben des Propheten
: Gabriel Verlag
: 9783522630566
: 1
: CHF 13.50
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kaum ein Mensch ist so umstritten wie Mohammed. Doch was wissen wir wirklich über ihn? Für Muslime ist er ein Vorbild: der Gesandte Gottes - Begründer des Islams. Er verkündete die Worte Allahs, um die Menschen vom Glauben zu überzeugen. Es war eine Botschaft, die Frieden bringen sollte, und doch sah er sich bald schon als Anführer einer neuen Gemeinschaft, die er in den Krieg gegen die Nicht-Muslime führte. Um diese Widersprüche zu ergründen, nimmt Lorenz Just den Leser mit ins 7. Jahrhundert auf die arabische Halbinsel. Er erzählt, in welchem Umfeld der Halbwaise Mohammed aufwuchs, was ihm wichtig war, wie er handelte und was ihm offenbart wurde. Und sein spannendes Porträt des Propheten macht auch deutlich: Wer heute Gewalt rechtfertigen möchte, kann sich nicht auf das Leben Mohammeds und die Worte Allahs berufen.

Lorenz Just, Jahrgang 1983, studierte Islamwissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg und seit 2011 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Während seines Studiums verbrachte er längere Zeit in Kairo sowie im Libanon am Orient-Institut in Beirut, bereiste den Jemen und Syrien. Zu Forschungszwecken war er zuletzt auch im Iran. Im Frühjahr 2014 war er Finalist beim MDR-Literaturpreis.

DIE WÜSTE


Eines Tages im Jahre 570 erreichten die Familien des Beduinen-Stammes der Sad Ibn Bakr die Stadt Mekka. Sie hatten den weiten Weg auf sich genommen, um dem mekkanischen Stamm derQuraisch ihre Ammendienste anzubieten. Unter ihnen reiste auch eine junge Mutter namensHalima. Auf einer weißen Eselin war sie gemeinsam mit ihrem Mann und dem Sohn im Säuglingsalter nach Mekka gekommen. Auch sie suchte nach einem Neugeborenen, das sie mit in die Wüste nehmen könnte, wo sie es stillen und aufziehen würde wie ihr eigenes Kind.

»So sind wir: Wenn die Wolken am Abend den fetten Bäuchen der Schafe gleichen und der kalte Wind den Himmel rötet

und eisigen Nebel herantreibt, dessen Reif die Zelte wie weiße Baumwollflocken bedeckt,

die Hengste, um sich zu erwärmen, vor den Muttertieren tänzeln, während der Hirte seine kalten Finger reibt,

und die fetten Kamelstuten, trächtig im zehntenMonat, zurück zu den Lagerstätten gebracht werden, bis die Sommerweide wieder blüht,

dann lassen die Frauen des Stammes über Nachtdie Kessel kochen, und jeder erschöpfte, hart bedrängte Gast findet bei uns Unterkunft«.4

Nach einigen Tagen ihres Aufenthalts in der Stadt war die Karawane der Ammen bereit, wieder aufzubrechen. Fast alle der Frauen waren sich mit einer der mekkanischen Familien einig geworden und hatten einen Säugling in ihre Obhut genommen. Allein Halima hatte niemand ein Kind anvertrauen wollen, sie war zu arm, zu elend. Sie grämte sich, die anstrengende Reise vergeblich unternommen zu haben. Der Spott und Hohn ihrer Gefährtinnen war ihr gewiss. Da erinnerte sie sich eines Jungen, der Halbwaise war und ihr gleich zu Beginn von seinem Großvater und der verwitweten Mutter angeboten worden war. Sie hatte ihn, wie auch die übrigen Ammen, abgelehnt. »Ein Waise! Was können seine Mutter und sein Großvater schon für uns tun!«, waren ihre Worte gewesen. Nun war sie bereit, ihre Meinung zu ändern, und sprach zu ihrem Mann: »Bei Gott, ohne einen Säugling kehre ich nicht zurück! Lass mich deshalb jenes Waisenkind holen und es mitnehmen.«

DER AUSERWÄHLTE UNTER DEN ALTEN ARABERN 


So erzählt es dieVita des Propheten, aufgezeichnet vonIbn Ishaq. Auf der Suche nach Überlieferungen und Informationen über die Entstehung des Islams und das Auftreten des Gottgesandten hatte dieser große Gelehrte in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts das inzwischen riesige islamische Reich bereist. Von seinem Geburtsort Medina aus war er nach Nordafrika gekommen, um in Alexandrien zu studieren. Später gelangte er über Mesopotamien bis ins nördliche Persien. Als er sich dann in den 750er-Jahren am Hof des Kalifen in Bagdad niederließ, verfügte er über einen gewaltigen Schatz an Wissen, der es ihm erlaubte, das erste umfassende Geschichtsbuch des Islams zu verfassen. Aus diesem Geschichtsbuch, das heute zu großen Teilen als verschollen gilt, löste ein weiterer Gelehrter zu Beginn des neunten Jahrhunderts dieSirat an-Nabawiyya (Vita des Propheten) heraus. Jener Ibn Hischam kürzte und verdichtete den Bericht, fügte knappe Erklärungen ein und formte so den Text über das Leben Mohammeds, der bis heute kanonisch das Bild des islamischen Propheten und seiner Lebensgeschichte prägt, bekannt als dieSirat an-Nabawiyya des Ibn Ishaq.8

Von einem weiteren legendenhaften Ereignis aus der Kindheit Mohammeds, das ihm in der Obhut seiner Amme widerfahren ist, wird in derSirat an-Nabawiyya berichtet. Gemäß der Überlieferungstradition früher islamischer Geschichtsschreibung gibt Ibn Ishaq den mündlichen Bericht der Amme Halima wieder. Von verschiedenen Mittelsmännern wurde er über die vielen Jahre, bis Ibn Ishaq ihn endlich niederschrieb, weitererzählt.

Etwa in seinem neunten Lebensjahr – wieder folgen wir in groben Zügen dem Bericht des Ibn Ishaq – nahm sein OnkelAbu Talib Mohammed mit auf eine Handelsreise ins ferne Syrien. Für Mohammed, der sonst das Leben eines Hirtenjungen führte und die Tage auf den Hügeln um Mekka oder in den Schluchten der Täler allein verbrachte, muss eine solche Reise eine große Abwechslung gewesen sein. Seine Mutter war früh gestorben, sein Großvater zwei Jahre darauf. Inzwischen lebte Mohammed im Haushalt des Onkels, der anderes zu tun hatte, als dem Neffen den Vater zu ersetzen. Die Nähe des Onkels und die Weite des Landes, die sie in langer Karawane auf den schwankenden Rücken der Kamele durchquerten, waren neu für ihn.

Eine solche Überlieferung erklärt sich in ihren Einzelheiten vielleicht erst im Rückblick, wenn die Geschichte vom Leben des Propheten schon bekannt ist. So verweist sie bereits sehr deutlich darauf, was später die Beziehungen der Anhänger Mohammeds zu jüdischen Gemeinschaften und Christen prägen wird: Vertrauen gegenüber den Christen, Misstrauen gegenüber den Juden.

Die Überlieferung vom syrischen Mönch Bahira lädt aber noch zu weiteren Exkursen ein. Nicht ohne Grund wird beispielsweise die instinktive Abneigung des jungen Mohammed gegenüber den mekkanischen Göttinnen al-Lat und Uzza so auffällig in Szene gesetzt. Ibn Ishaq zeigt so, dass Mohammed bereits als Knabe einem strikten Eingottglauben, dem strengen Monotheismus, treu ergeben war, den er später als Gesandter Gottes von den Arabern einfordern würde.

EIN MANN MEKKAS 


Wie hat man sich das Leben in einer Wüstenmetropole am Anfang des siebten Jahrhunderts vorzustellen? Wie sahen die Häuser aus? Welche Kleidung trugen die Menschen? Eine visuelle Antwort auf diese Fragen bietet der FilmThe Message, der 1976 in Marokko und Libyen gedreht wurde.18 Der Regisseur Moustapha Akkad, darum bemüht, ein möglichst realistisches Bild der Städte Mekka und Medina wiederzugeben, ließ diese beiden zentralen Orte der Offenbarungsgeschichte in nordafrikanischen Wüstengegenden nachbauen. Natürlich wird die historische Wahrheit nie eins zu eins nachzubilden oder zu beschreiben sein, aber Moustapha Akkad schafft es doch, einen lebendigen und glaubwürdigen Eindruck einer lang vergangenen Zeit zu vermitteln.

In wenigen Szenen hat der Film so die wesentlichen Punkte, die für das vorislamische Mekka entscheidend waren, umrissen. In den heiligen Monaten zog der Kaaba-Kult nicht nur die verschiedensten Pilger in die Stadt, sondern auch eine große Anzahl von Händlern. Wobei eine Person natürlich auch beides zugleich sein konnte: Waren die rituellen Verpflichtungen erst erfüllt, blieb genügend Zeit, sich den Geschäften zu widmen. Dementsprechend waren es auf mekkanischer Seite die Händler vom Stamm der Quraisch, die sich um die Organisation der Verpflegung und Unterbringung der großen Menge an Pilgern kümmerten. Auch der Schlüssel der Kaaba und die Aufsicht über die Götzenbilder und Schätze, die in ihr aufgestellt waren, lagen in den Händen einer der Sippen der Quraisch.

Als es um das Jahr 605 n. Chr. zu Einbrüchen in die Kaaba gekommen war und ein Teil des Schatzes aus einem Kellergewölbe entwendet wurde, war es der Rat der Quraisch, der einstimmig einen Neubau des heiligen Hauses beschloss. Die Mauern der Kaaba waren zu dieser Zeit kaum mannshoch, und bis auf einige Stoffbahnen, die über sie gespannt waren, besaß sie kein festes Dach. Selbst wenn das Tor verschlossen war, war es ein Leichtes, in sie einzudringen.

Mit einem gewaltigen Sprung ins Mannesalter treffen wir nun den inzwischen fünfunddreißig Jahre alten Mohammed wieder. Die Überlieferung vom Wiederaufbau der Kaaba ist eine der wenigen, die die weite Zeitspanne zwischen seiner Kindheit und der Berufung zum Gesandten überbrücken.

Wie nun konnte Mohammed im Streit der kampfbereiten Quraisch um den heiligen Meteoriten weiterhelfen? Er war ja bislang gar nicht darin verwickelt gewesen. Wahrscheinlich war er gerade erst von einer Handelsreise zurückgekehrt und wollte auf dem Weg zum Haus Chadidschas nur einen kurzen Abstecher machen, um ein Dankgebet im Heiligtum zu sprechen. Plötzlich aber lag es an ihm, eine blutige Auseinandersetzung unter den Stammesbrüdern abzuwehren. Die Wortführer der Streitparteien erklärten ihm...