2.
Mythor war einer der letzten, der die Versammlung der Verschworenen verlassen hatte. Der Morgen begann bereits zu grauen, als er aus Gorgins Haus stieg. Mehr denn zuvor spürte er die Gefahr. Er schüttelte sich unwillkürlich. Er hätte nicht so lange warten dürfen. Das schwierigste stand noch bevor: seine Familie zu überzeugen, Churkuuhl zu verlassen. Aber es war auch nicht leicht gewesen, den Freunden klarzumachen, dass sie auf eigene Faust handeln mussten, wenn die Gefahr da war, die er spürte. Dass er nicht zu sagen vermochte, was geschehen würde und woher seine Ahnung kam, stellte ihr Vertrauen auf eine harte Probe. Aber sie hatten zu viele Dinge gemeinsam gemacht, die der Tradition der Marn zuwiderliefen, sie waren eine verschworene Gemeinschaft, die Verschworenen, wie sie sich nannten. Und so wie der Stamm der Marn einen Führer hatte, Etro, den Ersten Bürger von Churkuuhl, so war Mythor ihr Führer, dieser junge Fremde, mit dem sie aufgewachsen waren.
In solchen Augenblicken, da er sie für etwas zu begeistern oder überzeugen suchte, spürte er immer am deutlichsten, dass er anders war; nicht nur vom Äußeren – sein Haar war glatt und dunkelbraun, ihres schwarz und kraus, seine Haut war heller als ihre, wenn auch nicht so weiß wie die der Bewohner Tainnias, sein Gesicht länglicher und kantiger –, mehr noch vom Wesen. Was er an ihnen so sehr vermisste, war der Tatendrang. Sie besaßen zuviel Phantasie, mit der sie ihn ersetzten.
Wenn er fragte: Was mag wohl hinter jenen Hügeln liegen?, so konnten sie ihm wundervolle Geschichten erzählen, von Dingen, die dort sein mochten, von denen sie träumten. Und begnügten sich damit! Was wirklich dort sein mochte, war nicht etwas, das einen Marn interessierte. Seine Welt war seine Stadt, der Weg, den die Yarls nahmen. Und was das Schicksal ihnen bescheren wollte, musste es ihnen schon in den Weg legen, sonst zogen sie blind daran vorbei.
Aber die Jahre an Mythors Seite waren an ihnen nicht ohne Spuren geblieben. Da war noch immer die eingefleischte Furcht, Churkuuhl zu verlassen. Doch an seiner Seite vergaßen sie sie oft.
Sie waren etwa gleichen Alters, um die zwanzig Sommer, Jungen und Mädchen.
Unter ihnen Taka aus Elkrins Familie, deren Augen selten von ihm ließen, wenn sich die Gruppe traf, und deren Sinnlichkeit ihn oft in die Träume verfolgte – ihre Lippen, wenn sie ihm zulächelte, ihr Körper, wenn sie sich bewegte. Er spürte, dass sie ihn begehrte und darauf wartete, dass er den ersten Schritt tat, wie es der Brauch war. Aber trotz seiner leidenschaftlichen Träume vermochte er sich nicht dazu durchzuringen. Denn wenn ihre Leidenschaft fruchtbar war, würde er einen großen Schritt in die Richtung ihrer Art zu leben tun müssen. Sie würden ihm ein Haus geben, und Mythor würde Haupt einer Familie sein.
In Takas Armen würde er ein Marn sein müssen. Aber er hatte auch noch andere Träume, die aus Churkuuhl hinausführten. Und würde Takas Leidenschaft groß genug sein, dass sie ihn begleitete?
Als Mythor den Panzerrand erreichte und sich daran machte, die Strickleiter auf den Boden hinabzusteigen, sah er eine dunkle Gestalt am Boden auf ihn warten.
»Myth!« So nannten sie ihn in ihrem Kreis. Es war Takas Stimme.
Er spürte, wie sein Herz heftiger schlug. Gleichzeitig spürte er die Drohung, die über ihnen allen lag, stärker als je zuvor. Ein Schatten war über ihnen, über Churkuuhl. Mythor war es, als wiche alles Licht aus seinen Gedanken.
Er stieg hastig hinab und nahm sie an den Armen. »Taka, wo ist dein Bruder?«
Sie erschrak über seine düstere Miene. »Ist es soweit?«, fragte sie.
»Ich ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber es war nie näher als in diesem Augenblick.«
»Ich habe allein auf dich gewartet. Mein Bruder ist bereits im Haus. Du weißt, warum ich auf dich gewartet habe, Myth? Nicht wahr, Myth?«
»Ich begleite dich, wenn du es möchtest. Komm. Ich glaube, es