Wie alles begann …
Wietstock an der Nuthe
Klein-Waltraut träumt im Apfelbaum. In Wietstock an der Nuthe.
Wietstock an der Nuthe – das bedeutet für mich eine unbeschwerte, glückliche Kindheit mit vier jüngeren Geschwistern, drei Brüdern und einer Schwester. Vater Richard und Mutter Johanna waren Lehrer an der Zwergschule des kleinen Dorfes mit knapp dreihundert Einwohnern, alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren saßen in einem Raum. Aufregend und absolut angstfrei der Unterricht. Kein Kind, das sich nicht auf die Schule freute. Gelernt wurde, ohne dass man es merkte. Vater war ein großartiger Lehrer, damals schon eine Mischung aus Waldorf- und Montessori-Pädagoge. Beglückend die Arbeit im Kräutergarten der Schule, die Wanderungen auf Fontanes Spuren durch die brandenburgische Landschaft, der Duft von sonnentrockenen Kiefernnadeln in der Nase, Indianerspiele am Rötepfuhl, die abendliche Hausmusik – Vater spielte Geige, Mutter Klavier, am liebsten Schubert, wir Kinder Flöte.
Unser Leben war einfach und gesund. Das Gemüse wuchs im eigenen Garten, Vater schleuderte den Honig unserer Bienen. Da war der Duft von Bienenwachs und Jelängerjelieber, meiner Lieblingspflanze auch heute noch, die sich an der Geißblattlaube emporrankte, der Geruch von Teltower Rübchen. Und natürlich Mutters ansteckendes Lachen. Sie konnte lachen, bis ihr die Tränen kamen, das habe ich von ihr geerbt.
Was wir allesnicht hatten – und gar nicht vermissten! Von einem WC – water closet – konnte nicht die Rede sein, es gab nur ein Plumpsklo auf dem Hof. Keine Waschmaschine – die Wäsche wurde in der Waschküche in einem großen, mit Holz beheizten Kessel gewaschen, in dem auch der Zuckerrübensirup gekocht wurde. Es gab keine Spülmaschine, kein Telefon, keinen Fernsehapparat, kein Auto, meilenweit kein Kino, zu dritt besaßen wir größeren Kinder ein Fahrrad. Wenn ich aus meinen Kleidchen herausgewachsen war, nähte Mutter aus zwei alten ein neues.
Waltraut mit Puppe Ida
© Privatarchiv Barbara Rütting
Alle vierzehn Tage kam ein Friseur ins Dorf, um den Leuten die Haare zu schneiden. Da gab es die Leinölfrau und den Plundermann mit Schimmel und Planwagen, der allen möglichen Nähkram verkaufte; eine Frau, die mit einer riesigen Kiepe auf dem Rücken daherwandelte, und Bettler, die ihr Hab und Gut im Kinderwagen mit sich führten, aber sehr zufrieden schienen.
Werde ich gefragt, wo ich geboren wurde, betone ich jedes Mal: Nicht in Wietstock an der Dosse, nein, in Wietstock am Nuthegraben, bitte!
Wietstock, das bedeutete auch Paddelbootfahrten auf dieser Nuthe, quakende Frösche und Störche – ja, damals gab es noch Störche! Und den ersten Applaus als Schauspielerin erntete ich sogar bei einer Schulaufführung in der Rolle einer Störchin. Im Stechschritt, mit schwarzweißem Leibchen, die dünnen Beinchen in roten Strümpfen, stolzierte ich über die Bühne und sang dazu:
Auf unsrer Wiese gehet was,
watet durch die Sümpfe.
Es hat ein schwarzweiß Röcklein an
und trägt rote Strümpfe.
Fängt die Frösche, schnapp, schnapp, schnapp.
Klappert lustig, klapperdiklapp.
Wer kann das erraten?
Aber auch der Friedhof gleich neben unserem Schulhaus sollte mein Leben prägen und mir für immer da