: Richard Ford
: Unabhängigkeitstag
: Hanser Berlin
: 9783446251069
: 1
: CHF 11.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 558
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Frank Bascombe, ehemals Sportreporter, jetzt Makler, plant zum Unabhängigkeitstag in Amerika am 4. Juli 1988 einen Ausflug mit seinem Sohn. Er setzt alle Hoffnung in dieses Wochenende, an dem er die Sorgen der letzten Zeit - Scheidung, Berufswechsel, eine neue Freundin, von der er nicht sicher ist, ob er sie liebt - hinter sich lassen und sich seinem seltsam verschlossenen Sohn wieder annähern kann. Franks Versuch, sein Leben nach einigen Katastrophen wieder zu ordnen, wird ausgerechnet an diesen Tagen von mehreren Seiten torpediert. Ein meisterhaft erzählter, komischer und kluger Roman über ein Ringen um Halt und Kontrolle.

Richard Ford wurde 1944 in Jackson, Mississippi, geboren und lebt heute in Maine. 1996 erhielt er für seinen Roman Unabhängigkeitstag den Pulitzer Prize und den PEN/Faulkner Award, 2019 den Library of Congress Prize for American Fiction. Bei Hanser Berlin erschienen zuletzt das Porträt seiner Eltern Zwischen ihnen (2017), der Erzählungsband Irische Passagiere (2020) und sein Roman Valentinstag (2023).

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In Haddam treibt der Sommer durch baumverschattete Straßen wie süßer Balsam eines achtlosen, träumerischen Gottes, und die Welt fällt in ihre eigenen geheimnisvollen Hymnen ein. Schattige Rasenflächen liegen still und feucht. Draußen, auf der friedlich-frühmorgendlichen Cleveland Street, höre ich die Schritte eines einsamen Joggers, der erst am Haus vorbeitrabt und dann den Hügel hinunter in Richtung Taft Lane und weiter zum Choir College, um dort auf dem feuchten Gras zu laufen. Im Schwarzenviertel sitzen Männer auf Türschwellen, die Hosenbeine über den Socken hochgekrempelt, und trinken in der zunehmenden trägen Hitze ihren Kaffee. Der Eheberatungskurs (4.00-6.00) in der High School entläßt seine Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die benommen und mit schläfrigen Augen wieder zurück ins Bett wollen. Während die High School-Kapelle auf ihrem Übungsplatz mit den zweimal täglich stattfindenden Proben beginnt und sich für den Vierten Juli in Stimmung bringt: »Buum-Haddam, buum-Haddam, buum-buum-babuum. Haddam-Haddam, auf denn, auf denn! Buum-buum-babuum!«

Anderswo an der Küste nennt der Wetterbericht den Himmel, wie ich gehört habe, verhangen. Die Hitze wird drückender, ein metallischer Geruch pulsiert durch die Nasenlöcher. Schon drohen die ersten Wolken eines sommerlichen Hitzegewitters am Horizont der Berge, und da, wodie leben, ist es heißer als da, wo wir leben. Der Wind steht so, daß man weit draußen auf der Strecke den Amtrak »Merchants Special« mit Kurs auf Philly vorbeijagen hört. Salziger Meeresgeruch treibt mit diesem Wind von weit her und mischt sich mit dämmrigen Rhododendron-Düften und den letzten standhaften Sommerazaleen.

Aber in meiner Straße, im laubbeschatteten ersten Block der Cleveland Street, herrscht wohltätige Stille. Einen Block weiter wirft jemand geduldig auf den Basketballkorb in seiner Auffahrt: ein Quietschen der Schuhe … ein Keuchen … ein Lachen, ein Husten … »Seehr schön, so ist’s guuut.« Alles gedämpft. Vor dem Haus der Zumbros, zwei Häuser weiter, rauchen die Straßenbauarbeiter in aller Ruhe eine Zigarette zu Ende, bevor sie ihre Maschinen anwerfen und den Staub wieder aufwirbeln. Dieses Jahr pflastern wir die Straßen neu, verlegen neue Kabel, säen am Straßenrand neuen Rasen, erneuern die Bordsteinkanten, geben unsere stolzen neuen Steuerdollar aus – die Arbeiter allesamt Kapverdianer und gerissene Honduraner aus den ärmeren Städten nördlich von hier. Sergeantsville und Little York. Sie sitzen, still vor sich hin starrend, neben ihren gelben Lastwagen, Planierraupen und Schaufelbaggern, während ihre schnittigen Wagen – Camaros und tief gelegte Chevys – um die Ecke geparkt sind, wo sie nicht so viel Staub abbekommen und es später schattig sein wird.

Und plötzlich setzt das Glockenspiel von St. Leo the Great ein: Gong, gong, gong, gong, gong, gong, gong, gefolgt von einem hellen, mahnenden Choral aus der Feder des alten Wesley höchstpersönlich: »Wachet auf, wachet auf, die Ihr gerettet werden wollt, wachet auf, wachet auf, und läutert Eure Seelen.«

Obwohl nicht alles hier ganz koscher ist, trotz des guten Anfangs. (Wann ist irgendwas schon ganz koscher?)

Ich selbst, Frank Bascombe, wurde Ende April auf der Coolidge Street, nur eine Straße weiter, überfallen, als ich nach einem guten Abschluß in der frühen Abenddämmerung zu Fuß nach Haus