: Alban Nikolai Herbst
: Traumschiff
: mareverlag
: 9783866483194
: 1
: CHF 9.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Vielleicht das letzte Radikalgenie.' Frankfurter Allgemeine Zeitung Das Leben ist ein Traum! Ist es das? Gregor Lanmeister, einst ein erfolgreicher, wenn auch zweifelhafter Geschäftsmann, ist auf Weltreise an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Mit ihm reisen 144 Auserwählte, die das Schiff nicht mehr verlassen werden. Sie bleiben, um zu gehen. So wie er selbst - das wird ihm zunehmend bewusst. Minutiös beobachtet er das Geschehen an Bord und findet sich bald inmitten einer Gesellschaft eigenwilliger Persönlichkeiten wieder - da ist Monsieur Bayoun, sein Lehrmeister und Freund, der ihm ein geheimnisvolles Spiel hinterlässt; da sind die dralle, freche Frau Seifert sowie Kateryna, eine junge russische Pianistin, die er liebevoll Lastotschka, Feenseeschwalbe, nennt, außerdem ein schrulliger Clochard zur See und die stolze Lady Porto - sie alle und noch viele mehr nehmen mit ihm Abschied. Sodass er, von einer ihm vorher gänzlich fremden Sehnsucht erfasst, zu erkennen beginnt, was es mit diesem Sperlingsspiel auf sich hat. Über das Meer entdeckt Lanmeister den stillen Reichtum Leben, es eröffnen sich ihm immer neue Momente von märchenhafter Schönheit, bis Zeit und Meer, Vergänglichkeit und Traum zu einem rätselhaft entrückten Kosmos verschmelzen. In seinem neuen Roman schlägt Alban Nikolai Herbst einen ungewöhn- lichen, zärtlichen und gütigen Ton an. Geistreich, unmittelbar und humorvoll erzählt er vom Sterben als einem letzten großen Gesang auf das Leben.

Alban Nikolai Herbst, geboren 1955, ist mehrfach ausgezeichneter Autor von bislang rund 30 Romanen, Erzähl- und Gedichtbänden, sowie poetischer Hörstücke, die er für den Rundfunk meist selbst inszeniert. Zuletzt schloss er 2013 mit 'Argo' seine monumentale 'Anderswelt'- Trilogie ab. Bei mare erschien zehn Jahre zuvor sein umstrittener Roman 'Meere'.

33° 14’ S / 13° 20’ O


Lange habe ich gedacht, dass wir einander erkennen. Aber das stimmt nicht. Wir verstehen uns nur. Dennoch lehne ich stets an der Reling des Promenadendecks, wenn die Reisegäste das Traumschiff verlassen. Und wenn die neuen eingeschifft werden, sehe ich mir jeden Menschen sehr genau an. Wie er seine Füße auf die Gangway setzt, zum Beispiel, ob fest, ob unsicher. Ob er sich am Geländer festhält.

Viele sind krank. Andere können nicht mehr richtig gehen und stützen sich auf rollbare Hilfen.

Ich möchte wissen, ob jemand das Bewusstsein schon mitbringt.

Ich habe es seit Barcelona. Das liegt lange zurück.

Einhundertvierundvierzig Passagiere von vierhundert, fünfhundert. Das ist ein Drittel, zumindest ein Viertel. Wie kann man sich da nicht erkennen?

»Vergangenheit«. Was für ein weiches Wort. »Gegenwart«. Was für ein hartes. Es bezeichnet doch alles, was ist. – Nicht aber alles auch, was war? Wissen das, frage ich mich, diese Menschen? Woran erkenne ich die, die es wissen? Erkennen sie mich?

Geht von den Neuen zufällig ein Blick zu mir hoch, schweift er meistens weiter. Als wäre ich nicht da oder niemand, der einem auffällt. Was auch stimmt. Auffällig bin ich wohl nicht. – Der einzige, der mich sofort bemerkte, und schneller als ich ihn, war Monsieur Bayoun. Dann war er abermals schneller, indem er mir vorausging.

Mein Rücken. Die Schulter. Das Bein. Von Frau Seiferts Gehstock sind unter meinen rechten Fingerwurzeln die schmalen Ballen zu Schwielen geworden. Sogar der Ring drückt. Wobei ich gar nicht weiß, wozu ich ihn noch trage. Von wem habe ich ihn? Schön ist er aber schon, mit diesem Mittwochs-Topas.

Obwohl er mir lieb ist, mag ich den Gehstock nicht.

An Monsieur Bayoun habe ich ein Gebrechen nie bemerkt. So etwas war zwischen uns kein Thema. Ich kam bei ihm auf ga