: Tom Gschwandtner
: Gelähmt ist nicht gestorben
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218010054
: 1
: CHF 15.20
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Neue Schuhe braucht Tom Gschwandtner nicht mehr - außer um Modetrends zu folgen. Im September 1995 bricht er sich, damals rastlose 26 Jahre alt, bei einem Autounfall den Hals. Der Wagen landet in einem Waldstück auf dem Dach und Tom auf der Intensivstation, dann in der Reha und schließlich im Rollstuhl. Doch er holt sich sein neues Leben. Schritt für Schritt, was schwierig ist, wenn man nicht gehen kann. Und irgendwann steht er plötzlich wieder mitten im Leben, obwohl er sitzt. Ein Jahr nach dem Unfall heiratet er seine Freundin Gabi, die bei dem Unfall ebenfalls schwer verletzt wurde, nun aber wieder ganz gesund ist. Sie beziehen ihr neues, barrierefreies Haus, gründen eine Firma, bekommen zwei wundervolle Kinder und lachen und streiten so wie alle anderen Menschen auch. Sein Fazit: es ist ein gutes Leben. Trotz Rollstuhl. Von einer Nachahmung rät er dennoch dringend ab.

Tom Gschwandtner, geboren 1969, Matura am Gymnasium Horn, Ausbildung zum Milizoffizier, mehrere Arbeitsjahre in Wien, unter anderem in einer Werbeagentur und im pharmazeutischen Außendienst. Nach dem Unfall berufliche Neuorientierung. Tom Gschwandtner arbeitet heute als Grafiker, Texter und kreativer Schrägdenker.

10. September 1995.
Der Unfall


Ein herrlicher Tag. Ein herrlicher Sonntag. Es ist der 10. September 1995. Viel Sonne. Viel unternommen. Viel Spaß gehabt. Dann die Heimfahrt. Spätabends. Zu viert im Auto. Kurz das Fenster geöffnet. Fahrtwind. Frische. Freiheit. Im Autoradio läuft »What’s up« von den »4 Non Blondes«. »What’s going on?«, schreit die Sängerin mit ihrer rauen, kräftigen Stimme aus den Lautsprechern. »Was ist jetzt los?«, wundere ich mich still, denn zum Schreien komme ich nicht mehr, als das Auto in dieser immer enger werdenden Kurve plötzlich wild zu taumeln beginnt, unter lautem Getöse Sträucher und Bäume niederwalzt, über die Böschung hinunterkracht und nach einem gewaltigen Salto als Totalschaden auf dem eingedrückten Dach liegen bleibt. Und dann schreie ich auch nicht, sondern denke nur: »Scheiße.«

Dass nicht nur das Auto ein Wrack ist, das weiß ich in der Sekunde. Die Herrlichkeit ist vorbei. Und der Spaß sowieso. Das ist mir schlagartig klar. Zu meiner eigenen Verwunderung verfüge ich noch über einen halbwegs hellen Verstand. Selbst hier im Dunkeln. Und ich bin bei vollem Bewusstsein. Zumindest noch. Es ist irgendwann vor Mitternacht und ich sitze nicht mehr als Passagier auf einer Autorückbank, sondern liege neben einer völlig zerquetschten und zerfetzten Karre, die gerade zischend ihr Leben aushaucht. Ich liege auf dem Rücken. Auf einer schwarzen Wiese. In einem schwarzen Wald. Ich liege auf dem Rücken, aber ich habe das Gefühl, dass nur mein Kopf im Gras liegt. Den Rest meines Körpers spüre ich nicht mehr. Der fliegt irgendwo herum. Der hat sich verabschiedet, ohne mir Bescheid zu geben, wann, oder ob er überhaupt daran denkt, jemals wieder zu mir zurückzukehren. Ich blicke in den Nachthimmel hinauf und schließe für ein kurzes »Das ist aber jetzt nicht wahr, oder?« die Augen. Und für einen noch kürzeren Moment bin ich froh darüber, dass ich die ewige Mahnung meiner vorausdenkenden Oma befolgt und das Haus in sauberer Unterwäsche verlassen habe. Man kann ja nie wissen, sagt die Oma. Immer saubere Unterwäsche! Geht ganz schnell, fällst du nieder, brichst dir einen müden Knochen, und schon musst du dich obendrein auch noch vor dem Herrn Doktor in Grund und Boden genieren! Also gut. Jedenfalls darüber muss ich mir jetzt keine Gedanken machen. Ich kann mich auf das Wesentliche konzentrieren. So schnell kann das gehen, sagt die Oma. Und zugegeben, es ist ja auch wirklich schnell gegangen. Jetzt grad. So schnell konnte ich gar nicht schauen und auch nicht schreien. Ein Kracher, und schon liege ich hier auf dieser Wiese. Und schon braut sich in meinem Gehirn etwas zusammen. Etwas Gröberes. Etwas Ungutes. Gabi hat mich nämlich gezwickt. So richtig gezwickt. Ordentlich. Nicht bloß so mit halbem Herzen. In die Beine hat sie mich gezwickt. Auf mein Drängen hin. »Mach schon!«, habe ich gesagt, und jetzt sage ich noch einmal: »Jetzt mach endlich!« Und Gabi sagt, sie hat schon. Und noch einmal sagt sie, sie hat schon. »Scheiße«, denke ich ein zweites Mal. Und Gabi denkt sich auch etwas. Und beide wissen wir: Spekulieren oder hoffen, das können wir uns ab jetzt sparen. Das ist vorbei. Die Querschnittlähmung ist jetzt amtlich. Mit Stempel und Unterschrift von ganz oben. Oder von sonst wo.

Ganz ruhig ist es jetzt. Das Zischen des Autos ist verstummt, nur der kleine Bach, der neben der Wiese dahingurgelt, plätschert ein wenig in die Nachtstille hinein. Ich kenne diese Gegend, den Bach, die Wiese. Gabi ist in dem Dorf ganz in der Nähe von hier aufgewachsen, und ihr Bruder Toni, der hinten neben mir gesessen ist, rennt jetzt los. Hilfe holen. In der Dorfmitt