: Berthold Auerbach
: Drei einzige Töchter
: OTB eBook publishing
: 9783956768774
: 1
: CHF 1.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 98
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Berthold Auerbach, eigentlich Moses Baruch Auerbacher, (* 28. Februar 1812 in Nordstetten (heute Ortsteil von Horb), † 8. Februar 1882 in Cannes) war ein deutscher Schriftsteller. Die Dorfgeschichten haben eine leicht überschaubare Struktur und schildern das gewöhnliche Leben der gesellschaftlichen Unterschichten im damaligen Deutschland. (Auszug aus Wikipedia)

Drei einzige Töchter



 Maskerade auf der Eisenbahn.


(Frühling 1870.)

Im Schatten einer großen, mit frischem Frühlingsgrün belaubten Buche, unweit eines mitteldeutschen Bahnhofes, hielt ein mit zwei Schimmeln bespannter offener Wagen; darin saß in die gelblichen damastenen Kissen zurückgelehnt eine jugendliche, in Grau gekleidete Frauengestalt; sie hatte die Arme übereinander gelegt, und hielt ihre großen dunklen Augen nach dem Gebirge gerichtet, das in schön geschwungener Wellenlinie vor ihr lag.

Jetzt warf sie den Kopf zurück, auf dem eine Art modischen Tirolerhutes mit durcheinander wehenden grünen Hahnenfedern saß; sie erhob sich, nahm eine in grau Leinen gebundene Mappe aus der Seitentasche des Wagens und begann zu zeichnen, bald rasch in die Landschaft hinausschauend, bald den Blick streng auf das Papier geheftet. Ihre Züge nahmen einen tiefernsten Ausdruck an, das längliche Gesicht, etwas bräunlich angehaucht, von nicht mehr erster Jugendfrische, durchzog sich mit einer leichten Röthe. Sie preßte den schöngeschnittenen Mund, auf dessen Oberlippe sich ein leichter Flaum zeigte, wie in Aerger zusammen; ihre Arbeit schien sie nicht zu befriedigen; sie setzte mehrmals ab, schüttelte den Kopf, ja sie schlug sogar einmal das Buch zu. Vor sich hinnickend, wie sich selber Muth zusprechend, öffnete sie es wieder und arbeitete weiter; allgemach gewannen ihre Mienen einen beruhigten, ja fast zufriedenen Ausdruck.

Durch Anlage der Eisenbahn war ein neuer Standpunkt zur Betrachtung der landschaftlichen Schönheit gewonnen, dessen man vielleicht nie inne geworden wäre; denn das ist nach allen Seiten hin ein auszeichnender Charakter unserer Zeit, daß uns Alles in neue Gesichtswinkel gerückt wird.

Die Zeichnerin wurde immer heftiger in ihrer Arbeit. Trotz des nur mildwarmen Frühlingstages schien es ihr heiß zu werden. Sie nahm rasch den Hut vom Kopfe und legte ihn neben sich. Das dunkle Haar, über der Stirn schlicht angelegt, war in zwei starken Flechten im Nacken aufgesteckt, die Stirn, nicht besonders hoch, ließ zumal beim Ernste eine durch die Mitte sich hinziehende Falte wahrnehmen, deren Spur auch bei ruhigem Verhalten noch zu erkennen war. Das ganze Antlitz zeigte deutlich, daß der Ernst des Lebens seine Merkmale darauf e