1 Von innerer und äußerer Anspannung
Warum reagieren gerade die Schulter- und Nackenmuskeln besonders auf Stress, Ängste und sorgenvolle Gedanken? Wie hängen innere und äußere Anspannung zusammen?
Alle psychischen Belastungen wie Ängste, Ärger, Trauer, Stress bewirken eine bestimmte Körperhaltung: Wir igeln uns ein, alles zieht sich in uns zusammen. Der Brustkorb gilt als Sitz der Seele. Wir fassen uns an den Brustkorb, wenn wir Angst haben, wenn uns etwas Unangenehmes passiert ist oder wir bedrückt sind. Im Brustkorbbereich wird es bei negativen Gefühlen und Erwartungen eng. Die Muskeln ziehen sich hier zusammen. Wir atmen nur noch flach, die Brustmuskeln verkürzen sich und die Schultern sind »ängstlich« zu den Ohren hochgezogen und hängen oft nach vorn.
Hinter dieser Schutzhaltung steckt ein urzeitlicher Reflex: Der Steinzeitmensch konnte in einer Gefahrensituation nur fliehen oder kämpfen. In Sekundenschnelle wurden beim Anblick eines gefährlichen Tieres oder Feindes Stresshormone ausgeschüttet und die Schultern hochgezogen, um den empfindlichen Halsbereich zu schützen. Noch heute ziehen wir in jeglicher Konfliktsituation reflexartig die Schultern hoch. Es gibt viele Auslöser in unserem Alltag, die das immer wieder bewirken. Das Fatale ist: Wir rennen nicht weg und kämpfen auch nicht körperlich, sondern verharren in unserer Position. Die aufgebaute Anspannung wird nicht wieder abgebaut, sondern bleibt erhalten und verstärkt sich mit jeder stressigen Situation. Schultern und Nacken bleiben in einem angespannten Zustand. Schmerzrezeptoren werden überreizt, die Durchblutung gedrosselt.
1.1 Eingefrorene Gefühle
Es ist wichtig, dass wir uns klarmachen: Nicht der Stress macht uns krank, sondern die fehlende Entspannung (zwischendurch). – Wir entlasten uns ungemein, wenn wir die normale Stressreaktion unseres Körpers (körperlich, seelisch und geistig) immer wieder abbauen, zum Beispiel durch Bewegung, aber auch durch Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen. Seele und Körper wieder entspannen lernen ist die Grundlage für erfolgreiches Üben. Durch das Entspannen und Harmonisieren der Nacken- und Schultermuskeln können wir gleichzeitig auch seelischen Druck verringern, denn Körper, Geist und Seele reagieren als Einheit.
Verkürzte, verspannte Muskeln bewirken Denkblockaden und eingefrorene Gefühle; aber auch umgekehrt. Sehr viele Schulter-Nacken-Probleme fanden schon in der Kindheit ihren Anfang und setzten sich später nur fort. Es fängt meistens mit Gefühlsunterdrückungen sowie Ängsten (z.B. vor Reaktionen von Eltern, Lehrern und der Umwelt) an. Später kommen Leistungsdruck, Finanz- oder Partnerprobleme dazu. Jede Sorge, jedes Problem, das wir als Belastung wahrnehmen, setzt sich zuerst in den Schulter- und Nackenmuskeln fest.
1.2 Wir nehmen die Anspannung nicht mehr wahr
Denn diese reagieren zuallererst auf Stress, Belastung, Anspannung und Druck. Stundenlanges hochkonzentriertes Arbeiten hält einen oft in einer langandauernden inneren Spannung, die sich auch auf die Muskeln und Organe überträgt. Nach und nach baut sich eine Anspannung nach der anderen auf, und leider haben wir es oft verlernt, uns dazwischen zu entspannen und die Anspannung immer wieder zu senken. Doch das ist der einzig richtige Weg, um chronische Verspannungen zu vermeiden.
Nach vielen Wiederholungen nehmen wir den vorgeschobenen Kopf und die hochgezogenen, verhärteten Schultern gar nicht mehr wahr. Es ist, als ob dies eine normale Haltung wäre, die zu einem gehört. Bis nach einigen Jahren die Verhärtung so zugenommen hat, dass Schmerzen auftreten. Verkrampfte Muskeln weisen immer Verhärtungen auf und sind verkürzt. Verkürzte Muskeln wiederum sind unelastisch und ziehen am dazugehörigen Gelenk. Dieses wird ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen und ist nicht mehr frei beweglich. Auch die Durchblutung ist im verhärteten Muskel stark herabgesetzt.
Wohltat für unseren Körper und unsere Seele: die entspannte, aufrechte Haltung.
1.3 Schmerz als Warnsignal
Schmerz wird von den Wissenschaftlern als Schutzreaktion betrachtet, die das Überleben sichert und uns klarmachen will: »Hier stimmt etwas nicht; pass auf!« Muskelschmerzen sind zunächst ein erstes Warnsignal für eine Überlastung. Diese kann körperlicher oder psychischer Art sein. Sensible Nervenfasern in den Muskeln leiten den angespannten Zustand des Muskels an das Gehirn weiter, das dieses Signal als Schmerz und Gefahr wahrnimmt. (Neurowissenschaftler betonen: Schmerz entsteht im Gehirn.) Wenn wir darauf hören, bewegen wir uns und der Schmerz verringert sich.
Sehr häufig hören wir nicht darauf und der Schmerz wird chronisch. Hier beginnt ein Teufelskreis. Denn aufgrund der Interpretation des Gehirns »Gefahr« gibt es den Befehl: Spannung verstärken. Deshalb geht es von nun an auch darum, diesen Teufelskreis aufzulösen und dem Gehirn neue Informationen durch gelöstere Muskeln zu geben. Aus diesem Grund werden in diesem Buch Entspannungs-, Wahrnehmungs-, Dehnungs-, Kräftigungs- und Beweglichkeitsübungen gezeigt.
Achtsamkeit statt Pillen
Der Schmerzreiz