Friedlich vor Anker
Bis auf hundertneunzig Meilen hatte sich dieEquator am 2. Dezember 1889 ihrem Ziel genähert, dann kam sie nicht mehr voran. Das kleine, kaum siebzig Tonnen schwere Handelsschiff schlingerte an Ort und Stelle in der aufgepeitschten See, Sturmböen stürzten aus allen Richtungen auf die flatternden Segel, und es fiel schwerer Regen bei vierzig Grad Hitze und hundert Prozent Luftfeuchtigkeit. Das war kein Klima für einen lungenkranken Schotten wie Robert Louis Stevenson; hätte er seinen Ärzten gehorcht, wäre er zur Kur in die kalte und trockene Alpenluft der Lungenklinik Davos gefahren, wo er schon zwei Winter verbracht hatte und fast gesund geworden war. Stattdessen saß er im Schneidersitz auf den feuchten Planken unter Deck, rauchte eine Zigarette nach der anderen und schrieb einen Brief an seinen Jugendfreund Sidney Colvin, Kunstprofessor in Cambridge. Er war barfuß und nackt bis auf eine schwarzweiß gestreifte Hose und ein ärmelloses Unterhemd, und um die Hüfte hatte er eine rote Schärpe gebunden. Neben ihm lag in unruhigem Schlaf seine seekranke Frau Fanny und neben ihr in jugendlichem Frieden der einundzwanzigjährige Lloyd Osbourne, Fannys Sohn aus erster Ehe. Das Schiff roch beißend nach fermentierter Kokosnuss, und es wimmelte von Läusen und daumengroßen Kakerlaken.
»Das Ende unserer langen Reise rückt näher. Regen, Windstille, eine Bö, ein Knall – und die Vormarsstange ist weg; Regen, Windstille, eine Bö, und fort ist das Stagsegel; noch mehr Regen, noch mehr Windstille und weitere Böen; eine ungeheuer schwere See die ganze Zeit, und dieEquator schlingert wie eine Schwalbe im Sturm; unter Deck ist ein einziger großer Raum, der bedeckt ist von nassen Menschenleibern, und der Regen ergießt sich in wahren Sturmfluten aufs leckende Deck. Fanny hält sich sehr tapfer inmitten von fünfzehn Männern. (…) Wenn wir nur für zwei Pence brauchbaren Wind hätten, wären wir schon morgen zum Abendessen in Apia. Aber wir schlingern vor uns hin ohne das leiseste Lüftchen, und dann brennt auch wieder die Sonne über unseren Köpfen, und das Thermometer zeigt 88 Grad …«
Seit anderthalb Jahren bereiste Stevenson die Südsee, hatte die Marquesas, Tahiti, Hawaii und zuletzt die Gilbert-Inseln besucht, um Reisereportagen für amerikanische Zeitschriften zu schreiben. Er tat dies zur allseitigen Unzufriedenheit: Die Leser der Zeitschriften waren enttäuscht, dass der Autor der »Schatzinsel« ihnen derart langfädige und schulmeisterliche Abhandlungen zumutete; die Verleger waren enttäuscht über den ausbleibenden Verkaufserfolg; und für Louis selbst war die Arbeit eine qualvolle Pflicht, deren Ende er herbeisehnte. Er wollte nach Hause, erst nach London, dann nach Edinburgh. Mit keinem Gedanken dachte er zu der Zeit daran, sich auf Samoa niederzulassen. Und nichts deutete darauf hin, dass er nur sechs Wochen später, im Alter von neununddreißig Jahren, sein gesamtes verfügbares Vermögen in den Kauf eines Stücks undurchdringlichen Dschungels investieren und dort den Rest seines Lebens verbringen würde. Ganz im Gegenteil.
»Ich habe nicht im Sinn, sehr lange auf Samoa zu bleiben. Meine Studien werde ich wohl, soweit sich das voraussagen lässt, auf die jüngste kriegerische Geschichte beschränken. (…) Es ist möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass ich noch rasch einen Besuch auf Fidschi oder Tonga mache, oder sogar beides; aber in mir wächst die Ungeduld, dich wiederzusehen, und ich will spätestens im Juni in England sein. Wir werden, so Gott will, über Sydney, Ceylon, Suez und wahrscheinlich Marseille heimkehren. Einen Tag oder zwei werde ich wohl in Paris Station machen, aber das ist alles no