: Thomas Raab
: Die Netzwerk-Orange
: Luftschacht Verlag
: 9783903081017
: 1
: CHF 9.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 328
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wir befinden uns in der Hauptstadt eines Unionsstaats im Jahr 2025. Die Gesellschaft funktioniert, der Einzelne fühlt sich einzeln. Doch kleine Verbesserungen tun immer Not. Der ehemalige Psychologieprofessor Franzer, nun mehr Ministeriumsbeamter, versucht seine Lieblingsstudentin zu überzeugen, an seinem Projekt eines automatischen Netzwerk-Therapeuten, dem Cyberpeuten, der Hilfesuchende mit Lehrfabeln versorgt, mitzuarbeiten. Dazu durchwandern sie wie in einem Tableau vivant eine in soziale Segmente gesplittete Welt - die Netzwerk-Orange. Doch eine Gruppe Studierender ist unzufrieden. Jack, Caren und Cathy ahnen, dass hinter der perfekten Fassade der Union geheime Mächte Angebot und Nachfrage steuern. Utopie oder Dystopie? Oder schon Realität? Die Netzwerk-Orange stellt die Frage, was in der 'Verhaltensbox' Welt vom Einzelnen bleibt, wenn man die stabilisierenden Einflüsse des Netzes abzieht. In nüchtern-bürokratischem Stil und mit viel Ironie schreibt sich Thomas Raab auf die literarische Bühne zurück und versucht, die Aufgabe der Gesellschaftsbeschreibung von Soziologie und Ökonomie für die Literatur zurückzuerobern.

Thomas Raab, *1968 in Graz, ist Autor, Übersetzer und Herausgeber mit naturwissenschaftlichem Hintergrund. Er lebt mit seiner Familie in Wien. Sein erster Roman Verhalten erschien 2002 in Köln. Er führte zu zwei Literaturpreisen und einer Einladung zum Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettlesen 2004. Raab erhielt mehrere Wissenschafts- und Literaturstipendien und hat bisher drei Einzelwerke verfasst, zuletzt 2008 den Essay Avantgarde-Routine. Seit 2013 ist er Schreiblehrer an der Kunstuni Linz. www.nachbrenner.at

nächsten Automatenkaffee fahren lassen musste, weil sein Kleist-Kafka-Seminar umgehend beginnen sollte.

„Ich muss los“, meinte Bachmann zu Wachmann, als er bereits drei Schritte entfernt auf dem Weg zum Seminarraum war.

Die weiße Wand, bekritzelt, Linoleumboden.

Nach wenigen Schritten drehte sich Kollege Bachmann kurz um und rief dem zurückbleibenden Wachmann zu: „Also dann: Kontakt! Ich würde dich gerne einmal zu mir einladen. Meine Frau hat, glaube ich, deinen letzten Roman gelesen!“

Wachmann war wortlos. Nun waren sie offenbar für immer per du. Als Bachmann endgültig am Ende des Korridors verschwunden war, drückte er sich doch noch einen letzen Kaffee vor seinem Kurs. Der Automat funktionierte.

Obwohl gemeinhin zu allen Ideologien auf Distanz, neigen die Postmateriellen aufgrund der von ihnen erkannten großen Zusammenhänge zu einem ganzheitlichen Weltbild. Sie erkennen zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen Psyche, Körper und Geist. Daher sind sie nicht nur die Vorhut des traditionellen Wellness-Trends, sondern auch der Neuen Gerechtigkeit. Die Postmateriellen streben nach Harmonie in allen Lebenslagen.

Wachmann stand in seinen Hush Puppies vor dem Automaten und trank. Seine Studenten würden bestimmt nicht auf Pünktlichkeit Wert legen, dachte er vielleicht. Im Gegenteil, man würde von ihm nicht Pedanterie, sondern Nachlässigkeit erwarten. So hatte er das Manuskript einer Musterfabel aus seinem Ranzen gezogen und las es noch einmal durch, da er es wohl der Klasse – nach der Einführung zu Äsop – als Vorlage präsentieren wollte.

Da eilte eine vorderhand fein geformte Studentin am Kaffeeautomaten und also an Wachmann vorbei. Sie trug ein gelbes American-Apparel-Benett