I
Ägäis
Nie werde ich vergessen, wo ich war und was ich tat, als ich hörte, dass mein Vater gestorben war.
Ich sonnte mich nackt auf dem Deck derNeptun, Theos Hand schützend auf meinem Bauch. Der menschenleere Goldstrand der Insel vor uns schimmerte, eingebettet zwischen Felsen, im Licht der Sonne, und das kristallklare, türkisblaue Wasser, das träge am Ufer leckte, schäumte wie die Milch auf einem Cappuccino.
So träge, dachte ich,wie ich.
Am Abend zuvor waren wir bei Sonnenuntergang in einer kleinen Bucht vor einer der griechischen Makares-Inseln vor Anker gegangen und mit zwei Kühlboxen an Land gewatet. Die eine war mit frischen Meeräschen und Sardinen gefüllt, die Theo gefangen hatte, die andere mit Wein und Wasser. Als ich die meine schwer atmend auf dem Sand abstellte, hatte Theo mich zärtlich auf die Nase geküsst.
»Wie Schiffbrüchige auf unserer eigenen verlassenen Insel«, hatte er verkündet und die Arme ausgebreitet. »Ich sammle Brennholz, damit wir den Fisch braten können.«
Ich hatte ihm nachgesehen, wie er auf die im Halbrund um die Bucht gruppierten Felsen zugegangen war, zwischen denen knochentrockene Büsche wuchsen. Trotz seines eher schmalen Körpers war er ein Weltklassesegler, und dazu brauchte man Kraft. Verglichen mit anderen Männern aus den Crews in Segelwettbewerben, die ausschließlich aus Muskeln zu bestehen schienen, wirkte Theo fast zierlich. Zu den ersten Dingen, die mir an ihm aufgefallen waren, gehörte sein schiefer Gang. Inzwischen wusste ich, dass er sich als Kind beim Sturz von einem Baum den Knöchel gebrochen hatte, der nie richtig zusammengewachsen war.
»Wahrscheinlich bin ich deshalb für ein Leben auf dem Wasser prädestiniert. Auf dem Boot merkt keiner, wie lächerlich ich an Land watschle«, hatte er schmunzelnd erzählt.
Wir hatten den Fisch gebraten und uns unter dem Sternenhimmel geliebt. Der folgende Morgen war unser letzter gemeinsamer an Bord gewesen. Kurz bevor ich beschloss, wieder mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, indem ich mein Handy einschaltete, und erfuhr, dass mein Leben in Scherben lag, hatte ich völlig entspannt neben ihm geruht. Und vor meinem geistigen Auge wie in einem surrealen Traum Revue passieren lassen, wie ich an diesen wundervollen Ort gelangt war …
Das erste Mal war ich ihm etwa ein Jahr zuvor bei der Heineken-Regatta in Sint Maarten in der Karibik begegnet. Als die Siegercrew mit einem Diner feierte, hatte ich zu meiner Begeisterung festgestellt, dass ihr Skipper Theo Falys-Kings war, in der Segelwelt berühmt, weil er bei Rennen in den vergangenen fünf Jahren mehr Mannschaften zum Sieg geführt hatte als jeder andere Kapitän.
»Er ist ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe«, gestand ich Rob Bellamy, einem alten Segelkameraden, mit dem ich im Schweizer Nationalteam gesegelt war, mit leiser Stimme. »Mit der Hornbrille sieht er aus wie ein Nerd«, fügte ich hinzu, während ich beobachtete, wie er aufstand und an einen anderen Tisch trat, »und er hat einen merkwürdigen Gang.«
»Er ist nicht gerade der muskelbepackte Bilderbuchathlet«, pflichtete Rob mir bei, »aber als Segler das reinste Genie, denn er hat einen sechsten Sinn fürs Wasser. Bei stürmischer See würde ich keinem Skipper mehr vertrauen als ihm.«
Als Rob mich später am Abend Theo vorstellte, musterte mich dieser nachdenklich mit seinen grünen, haselnussbraun gesprenkelten Augen.
»Du bist also die berühmte Al d’Aplièse.«
Sein britischer Akzent klang freundlich und ruhig.