Kapitel 1
Adah Esh schlüpfte aus ihrem warmen Bett, nachdem sie länger als gewöhnlich geschlafen hatte. In der Stille des frühen Morgens schlich sie auf Zehenspitzen zum Ende des Gangs in das Zimmer, das sie als Nähzimmer benutzte. Das gemütliche Zimmer im ersten Stockwerk hatte zwei Fenster, die nach Nordosten hinausgingen. Adah zog die dunkelgrüne Jalousie nach oben und schaute auf die Weite der Felder und Wiesen und des Himmels hinaus. Feine, gelbe Strahlen spannten sich bereits wie ein großer Fächer über den Rand des Horizonts.
Seit Lettie vor fast einem Monat weggegangen war, fühlte sich Adah getrieben, hierherzukommen und den neuen Tag und alles, was er bringen würde, Gott hinzulegen. Diese Gewohnheit, den Tag in Gottes Hände zu legen, hatte sie bei Lettie beobachtet, die als Jugendliche den Tag immer an ihrem Schlafzimmerfenster begonnen hatte. Manchmal waren ihre Schultern unter dem Geheimnis, das sie schwer belastete, gebeugt gewesen. An anderen Tagen hatte Adah gesehen, wie sie sich nahe an die Glasscheibe gedrückt hatte, als suche sie in der Herrlichkeit der Morgendämmerung Trost.
An den Tagen, an denen ihre Tochter bereit gewesen war, mit ihr zu sprechen, hatte Lettie manchmal zur Windmühle der Nachbarn auf der anderen Seite des Feldes gedeutet, auf der sich die Sonnenstrahlen widergespiegelt hatten. „Es ist wie ein Geschenk“, hatte sie dann gesagt, als klammerte sie sich an alles, was das Leben ein wenig schöner machte. Als wäre sie für jede Kleinigkeit dankbar, die ihren Blick für einen Moment von ihrer Trauer ablenkte. Und von ihrer Schande.
Adahs Herz litt erneut unter dem alten Schmerz, den es ihr bereitet hatte, als sie herausfand, dass ihre junge Lettie schwanger war, – und dann ausgerechnet von dem jungen Mann, den sie und Jakob überhaupt nicht mochten. Die arme Lettie war so deprimiert gewesen, dass weder Adah noch sonst jemand sie aufmuntern konnten. Wie ein gefangener, kleiner Vogel in einem Käfig. So hatte Lattie an ihrer Fensterscheibe gestanden und geweint.
Aber bis vor Kurzem hatte es so ausgesehen, als gehörten jene dunklen, traurigen Tage der Vergangenheit an. Adah verachtete Samuel Graber nicht mehr, weil er ihre Tochter so verletzt hatte. Und sie machte Lettie auch keinen Vorwurf mehr daraus, dass sie sich in ihn verliebt und sich von ihm zu einer Sünde hatte hinreißen lassen. Sie hatte auch nie den Säugling vergessen, den Lettie auf ihren Druck hin weggegeben hatte. Adahs eigenes Enkelkind. Ebenso wenig konnte sie die Adoption vergessen, die gleich nach der Geburt in die Wege geleitet worden war.
Jetzt legte Adah die Hand auf da