Inhaltsverzeichnis2. Kapitel
Ich erwachte früh am Morgen vom Geräusch fallender Äste in meinem Garten. Ich nahm zehn Milliliter Rot und lauschte dem schwerfälligen Sägen. Es war Rick, der obdachlose Gärtner, der schon zum Haus dazugehört hatte, als ich es damals kaufte. Ich würde nie jemanden einstellen, der auf meinem Grundstück herumlungert und in meine Privatsphäre eindringt, aber ich kündigte ihm auch nicht, als ich einzog, weil ich nicht wollte, dass er mich für weniger offen hielt als die Vorbesitzer, die Goldfarbs. Sie hatten ihm einen Schlüssel gegeben; manchmal geht er zur Toilette oder legt ein paar Zitronen in die Küche. Ich suche immer irgendeinen Grund, um schon weg zu sein, wenn er kommt, was morgens um sieben gar nicht so einfach ist. Manchmal fahre ich einfach drei Stunden durch die Gegend, bis er wieder weg ist. Oder ich parke ein paar Straßen weiter und schlafe im Wagen. Einmal hat er mich entdeckt, auf dem Rückweg in sein Zelt oder seinen Karton, und sein lächelndes Stoppelgesicht gegen die Scheibe gedrückt. Es war nicht leicht gewesen, mir im Halbschlaf eine Erklärung auszudenken.
Heute fuhr ich einfach nur früh zu Open Palm und bereitete alles für die Vorstandssitzung vor. Mein Plan war, mich so würdevoll zu verhalten, dass Phillip sich unmöglich an die taktlose Frau erinnerte, mit der er gestern telefoniert hatte. Ich würde zwar nicht laut mit einem britischen Akzent sprechen, aber im Kopf, und die Wirkung würde sich übertragen.
Jim und Michelle waren schon im Büro, und auch Sarah, unsere Praktikantin. Sie hatte ihr Baby dabei und versuchte, es unter dem Schreibtisch zu verstecken, aber wir hörten es natürlich alle. Ich wischte den Tisch im Vorstandszimmer ab und verteilte Notizblöcke und Stifte. Ich bin die Chefin, eigentlich ist das unter meiner Würde, aber ich mache es Phillip gern schön. »Sie kommen!«, rief Jim, was bedeutete, dass Carl und Suzanne im Anmarsch waren. Ich schnappte mir zwei riesige Vasen voll welker Blumen und eilte damit in die Mitarbeiterküche.
»Ich mach das!«, sagte Michelle. Sie war neu bei uns – nicht meine erste Wahl.
»Zu spät«, sagte ich, »ich hab sie schon.«
Sie rannte neben mir her und wollte mir eine Vase aus der Hand reißen, wobei sie nichts von dem ausgeklügelten Gleichgewichtssystem verstand, mit dessen Hilfe ich sie trug. Die andere Vase geriet jetzt dank ihrer Hilfe ins Rutschen, und ich überließ ihr das Auffangen, welches sie leider versäumte. Genau in dem Moment, als die Vase auf den Teppich fiel, kamen Carl und Suzanne zur Tür herein. Phillip war auch dabei.
»Hallo allerseits«, sagte Carl. Phillip trug einen wunderschönen weinroten Pullover. Mein Atem wurde flacher. Ich musste mich immer zusammenreißen, nicht einfach wie eine Ehefrau zu ihm zu gehen, so als wären wir schon seit tausend Leben ein Paar. Höhlenmann und Höhlenfrau. König und Königin. Nonnen.
»Darf ich vorstellen, Michelle, unsere neue Medienkoordinatorin«, sagte ich und deutete mit einer witzigen Handbewegung nach unten. Sie kratzte gerade im Vierfüßlerstand schleimige braune Blumen zusammen; jetzt versuchte sie schnell aufzustehen.
»Ich bin Phillip.« Michelle schüttelte ihm aus einem verwirrten Kniestand heraus die Hand, das Gesicht heiß und rot. Ich war versehentlich gemein gewesen; so etwas passierte mir nur, wenn ich unter starkem Stress stehe, und hinterher tut es mir immer furchtbar leid. Ich würde ihr am nächsten Tag irgendwas mitbringen, einen Geschenkgutschein oder einen Ninja-Smoothiemaker. Eigentlich hatte ich ihr schon längst irgendwas schenken wollen, präventiv sozusagen; das mache ich bei neuen Angestellten gern. Sie kommen dann nach Hause und sagen: »Dieser neue Job ist so toll, ich kann es kaum glauben – sieh mal, was mir meine Chefin geschenkt hat!« Wenn sie dann irgendwann mal in Tränen aufgelöst nach Hause kommen, sagt ihr Mann oder ihre Frau: »Bist du sicher, Schatz? Sie hat dir doch den Smoothiemaker geschenkt.« Und dann kommt der neue Angestellte ins Grübeln, macht sich vielleicht sogar Vorwürfe.
Suzanne und Carl schlenderten mit Phillip davon, und Sarah, die Praktikantin, eilte herbei, um beim Aufwischen zu helfen. Ihr Baby gluckste beharrlich und aggressiv. Schließlich ging ich zu ihrem Schreibtisch und schaute darunter. Der Kleine gurrte wie ein trauriges Täubchen und sah lächelnd zu mir hoch; er