: Miranda July
: Der erste fiese Typ Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462309737
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Dieses Buch kann man unmöglich wieder aus der Hand legen.« Dave Eggers Miranda July, Filmemacherin, Künstlerin, Autorin, sprengt nach ihrem spektakulären Erzählungsband »Zehn Wahrheiten« mit ihrem ersten Roman alle Erwartungen - einen Roman wie diesen haben Sie noch nicht gelesen. Cheryl Glickman ist eine Mittvierzigerin mit System: Sie besitzt nur, was sie wirklich benötigt (z.B. einen Teller, eine Gabel, einen Löffel ...) und bündelt ihre Energien maximal (»Wenn Sie schon ein Buch lesen müssen, dann tun Sie es doch gleich neben dem Bücherregal und halten den Finger in die Lücke, damit Sie es dann wieder zurückstellen können!«). Cheryl arbeitet bei einer Firma, die Selbstverteidigung zu Fitnesszwecken lehrt, sie ist seit Jahren verliebt in den 20 Jahre älteren Philipp (der wiederum eine 16-Jährige begehrt) und von dem Gedanken überzeugt, dass sie beide eigentlich seit Jahrtausenden ein Paar sind (Höhlenmann und Höhlenfrau). Als die Tochter ihrer Chefs bei ihr einzieht, wird ihre Ordnungs-Obsession gnadenlos zerstört: Clee, 20 Jahre alt, ist ein Messie, hat Schweißfüße und keinerlei Manieren. Und sie greift Cheryl körperlich an. Bald kämpfen die beiden nach Vorlage der alten Selbstverteidigungsvideos von Open Palm. Eine Choreografie, die Cheryl ganz neue körperliche Erfahrungen verschafft. Die beiden werden ein Paar, zumindest eine Art Paar, und als Clee schwanger wird, übernimmt Cheryl die Rolle ihres Lebens: Sie wird Mutter. Ein Roman, bei dem Sie laut lachen und gegen Ende glücklich lächeln und gleich wieder von vorn zu lesen anfangen werden.

Miranda July, 1974 in Barre (Vermont) geboren, ist Filmemacherin, Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Arbeiten wurden schon im Museum of Modern Art und auf der Biennale in Venedig gezeigt. Bei den Spielfilmen »Ich und du und alle, die wir kennen« (2005) und »The Future« (2011) schrieb sie das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. »Zehn Wahrheiten«, ihr Debüt als Autorin, wurde mit dem Frank O'Connor-Preis ausgezeichnet, dem höchstdotierten Kurzgeschichtenpreis der Welt. Sie entwickelte die Messaging-App »Somebody«, die Nachrichten nicht elektronisch übermittelt, sondern Personen in der Nähe sucht, um diese persönlich zu überbringen. Miranda July lebt in Los Angeles.
Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel


Ich erwachte früh am Morgen vom Geräusch fallender Äste in meinem Garten. Ich nahm zehn Milliliter Rot und lauschte dem schwerfälligen Sägen. Es war Rick, der obdachlose Gärtner, der schon zum Haus dazugehört hatte, als ich es damals kaufte. Ich würde nie jemanden einstellen, der auf meinem Grundstück herumlungert und in meine Privatsphäre eindringt, aber ich kündigte ihm auch nicht, als ich einzog, weil ich nicht wollte, dass er mich für weniger offen hielt als die Vorbesitzer, die Goldfarbs. Sie hatten ihm einen Schlüssel gegeben; manchmal geht er zur Toilette oder legt ein paar Zitronen in die Küche. Ich suche immer irgendeinen Grund, um schon weg zu sein, wenn er kommt, was morgens um sieben gar nicht so einfach ist. Manchmal fahre ich einfach drei Stunden durch die Gegend, bis er wieder weg ist. Oder ich parke ein paar Straßen weiter und schlafe im Wagen. Einmal hat er mich entdeckt, auf dem Rückweg in sein Zelt oder seinen Karton, und sein lächelndes Stoppelgesicht gegen die Scheibe gedrückt. Es war nicht leicht gewesen, mir im Halbschlaf eine Erklärung auszudenken.

Heute fuhr ich einfach nur früh zu Open Palm und bereitete alles für die Vorstandssitzung vor. Mein Plan war, mich so würdevoll zu verhalten, dass Phillip sich unmöglich an die taktlose Frau erinnerte, mit der er gestern telefoniert hatte. Ich würde zwar nicht laut mit einem britischen Akzent sprechen, aber im Kopf, und die Wirkung würde sich übertragen.

Jim und Michelle waren schon im Büro, und auch Sarah, unsere Praktikantin. Sie hatte ihr Baby dabei und versuchte, es unter dem Schreibtisch zu verstecken, aber wir hörten es natürlich alle. Ich wischte den Tisch im Vorstandszimmer ab und verteilte Notizblöcke und Stifte. Ich bin die Chefin, eigentlich ist das unter meiner Würde, aber ich mache es Phillip gern schön. »Sie kommen!«, rief Jim, was bedeutete, dass Carl und Suzanne im Anmarsch waren. Ich schnappte mir zwei riesige Vasen voll welker Blumen und eilte damit in die Mitarbeiterküche.

»Ich mach das!«, sagte Michelle. Sie war neu bei uns – nicht meine erste Wahl.

»Zu spät«, sagte ich, »ich hab sie schon.«

Sie rannte neben mir her und wollte mir eine Vase aus der Hand reißen, wobei sie nichts von dem ausgeklügelten Gleichgewichtssystem verstand, mit dessen Hilfe ich sie trug. Die andere Vase geriet jetzt dank ihrer Hilfe ins Rutschen, und ich überließ ihr das Auffangen, welches sie leider versäumte. Genau in dem Moment, als die Vase auf den Teppich fiel, kamen Carl und Suzanne zur Tür herein. Phillip war auch dabei.

»Hallo allerseits«, sagte Carl. Phillip trug einen wunderschönen weinroten Pullover. Mein Atem wurde flacher. Ich musste mich immer zusammenreißen, nicht einfach wie eine Ehefrau zu ihm zu gehen, so als wären wir schon seit tausend Leben ein Paar. Höhlenmann und Höhlenfrau. König und Königin. Nonnen.

»Darf ich vorstellen, Michelle, unsere neue Medienkoordinatorin«, sagte ich und deutete mit einer witzigen Handbewegung nach unten. Sie kratzte gerade im Vierfüßlerstand schleimige braune Blumen zusammen; jetzt versuchte sie schnell aufzustehen.

»Ich bin Phillip.« Michelle schüttelte ihm aus einem verwirrten Kniestand heraus die Hand, das Gesicht heiß und rot. Ich war versehentlich gemein gewesen; so etwas passierte mir nur, wenn ich unter starkem Stress stehe, und hinterher tut es mir immer furchtbar leid. Ich würde ihr am nächsten Tag irgendwas mitbringen, einen Geschenkgutschein oder einen Ninja-Smoothiemaker. Eigentlich hatte ich ihr schon längst irgendwas schenken wollen, präventiv sozusagen; das mache ich bei neuen Angestellten gern. Sie kommen dann nach Hause und sagen: »Dieser neue Job ist so toll, ich kann es kaum glauben – sieh mal, was mir meine Chefin geschenkt hat!« Wenn sie dann irgendwann mal in Tränen aufgelöst nach Hause kommen, sagt ihr Mann oder ihre Frau: »Bist du sicher, Schatz? Sie hat dir doch den Smoothiemaker geschenkt.« Und dann kommt der neue Angestellte ins Grübeln, macht sich vielleicht sogar Vorwürfe.

Suzanne und Carl schlenderten mit Phillip davon, und Sarah, die Praktikantin, eilte herbei, um beim Aufwischen zu helfen. Ihr Baby gluckste beharrlich und aggressiv. Schließlich ging ich zu ihrem Schreibtisch und schaute darunter. Der Kleine gurrte wie ein trauriges Täubchen und sah lächelnd zu mir hoch; er